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Sonntags-Blatt. Nr. 11. Berlin, 15. März 1868.

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[Beginn Spaltensatz]

Allein dies selbstständige Auftreten und diese Milde gegen die
Person des unglücklichen Königs brachte ihn mit den Jakobinern,
seinen früheren Gesinnungsgenossen, in argen Konflikt. Er selbst
spricht sich hierüber in einem Brief an einen seiner Freunde und in
der Vorrede zum zweiten Theil seines "Zeitalters der Vernunft" fol-
gendermaßen aus: "Nach der Abstimmung über die Hinrichtung des
Königs besuchte ich nur selten, und auch dann nur auf kurze Zeit die
Sitzungen des Konvents; es war mir nämlich unmöglich, an den
grauenhaften Beschlüssen desselben Theil zu nehmen, und ein Wider-
stand dagegen war ebenso nutzlos wie gefährlich. Daß ich gegen
den Tod Ludwigs XVI. in ausführlicher Weise gesprochen und ge-
stimmt, hatte mich verdächtig gemacht. Keiner meiner Freunde im
Konvent wagte mich zu vertheidigen. Auch Tinte und Feder waren
von keinem Nutzen. Durch Schreiben konnte ich nichts Gutes stiften,
denn ich hätte weder einen Uebersetzer noch einen Drucker gefunden.
Man war von den gerechten und humanen Grundsätzen der Revo-
lution, welche die Philosophie anfänglich verbreitet hatte, abgewichen.
Der unduldsame Geist der Kirchenverfolgungen war in die Politik
übergegangen; das sogenannte revolutionäre Tribunal nahm die Stelle
der Jnquisition ein, und die Guillotine und der Pfahl überboten die
Scheiterhaufen der Kirche. Jch sah viele meiner vertrautesten Freunde
fallen, andere täglich ins Gefängniß geschleppt werden, und ich selbst
hatte Grund, zu glauben, und es waren mir gleichfalls Winke ge-
geben worden, daß dieselbe Gefahr auch mir drohe. Gegen Ende des
Monats Dezember 1793 wurde im Konvent der Antrag gestellt und
angenommen, welcher die Ausstoßung jedes Ausländers aus dieser Ver-
sammlung bezweckte. Es befanden sich aber nur zwei Ausländer
darin, Anacharsis Clootz und ich, und ich begriff wohl, daß Bourdon
de l'Oise in seiner Rede über jenen Antrag mich besonders ins Auge
faßte."

Unter solchen Umständen beeilte sich Paine, den ersten Theil seines
" Age of Reason " zu beendigen. Er hatte denselben noch nicht län-
ger als sechs Stunden vollendet, da erschien die Wache, welche ihn als
Ausländer verhaftete und in das Gefängniß des Luxembourg abführte.
Es gelang ihm aber, das Manuskript seines Werkes in die Hände
seines Freundes Joel Barlow niederzulegen. Die strenge Gefangen-
schaft Paine's währte bis zum Tode Robespierre's, am 28. Juli
1794. Wie uns durch Paine selbst berichtet wird, befand sich unter
[Spaltenumbruch] den Papieren Robespierre's, worüber von einem Ausschuß von Kon-
ventsmitgliedern eine Untersuchung angestellt und an den Konvent
Bericht erstattet wurde, ein von Robespierre eigenhändig geschriebener
Zettel, der folgende Worte enthielt: " Demander que Thomas Paine
soit decrete d'accusation, pour l'interet de l'Amerique autant
que de la France
". Die in Paris anwesenden Amerikaner hatten
vergeblich den Versuch beim Konvent gemacht, ihren Landsmann zu
befreien, und selbst nach dem Falle Robespierre's erhielt Paine nicht
sofort seine volle Freiheit wieder. Erst den eifrigen Bemühungen
des amerikanischen Gesandten James Monroe gelang es, am 4. No-
vember 1794 seine vollständige Freilassung zu erwirken. So hatte
Paine eine nahezu einjährige Gefängnißhaft erduldet; doch war diese
Zeit von ihm nicht ungenutzt gelassen worden. Er hatte den zweiten
Theil seines "Zeitalters der Vernunft" der Vollendung entgegen-
geführt. Durch wunderbare Zufälle war er dem Tode durch die
Guillotine entgangen; das erste Mal war er nämlich durch eine heftige
Krankheit davor bewahrt worden, das andere Mal rettete ihn ein
viel seltsamerer Umstand. Hören wir hierüber ihn selbst: "Das
Zimmer, in welchem ich gefangen saß, war zu ebener Erde und ge-
hörte zu einer langen Reihe von Räumen, deren Ausgänge auf einen
Korridor führten. Wenn die Thür desselben, die sich nach außenhin
öffnete, ganz offen stand, so fiel sie glatt an die Wand. Jch hatte
drei Stubengenossen, Joseph Vanhuele aus Brügge, Charles Bastini
und Michael Rubyns aus Löwen in Belgien. Eines Tages war
bestimmt worden, daß hundertundsechszig der Gefangenen hingerichtet
werden sollten; auch ich gehörte zu dieser Zahl. Es war nun Sitte
im Luxembourg=Gefängniß, daß, wenn eine große Menge von Ge-
fangenen hingerichtet werden sollte, man dieselben in der Nacht ab-
führte. Zu diesem Zweck machten diejenigen, welche die Todeskandi-
daten abholten, irgend ein Zeichen an die Thür des Zimmers, aus
welchem die Opfer für den nächsten Tag kommen sollten. Die Thür
zu meinem Gefängnißzimmer war nun ganz offen und an die Wand
gelehnt gewesen, als das betreffende Zeichen darauf gemacht worden
war. Wir hatten dieselbe, als die Nacht herankam, geschlossen, und
so ging der Todesengel an uns vorüber. Wenige Tage darauf
erfolgte der Sturz Robespierre's; der amerikanische Gesandte rekla-
mirte mich späterhin und nahm mich längere Zeit bei sich in seiner
eigenen Wohnung auf."     ( Schluß folgt. )

[Ende Spaltensatz]

Lose Blätter.
[Beginn Spaltensatz]

M. Der Dessauer Marsch. Wie alt ist nicht der Dessauer Marsch
und wie lange hat er sich erhalten! Während des ganzen siebenjährigen
Krieges führte er das preußische Heer zum Kampf und zum Sieg. Wer
ist der Komponist? Ein Jtaliener; aber der Name desselben ist wohl nicht
mehr zu ermitteln. Als der Fürst Leopold von Dessau unter dem Oberbefehl
des Prinzen Eugen am 16. August 1705 mit 8000 Preußen die Schlacht
bei Cassano mitgekämpft hatte, überraschten ihn die Einwohner mit diesem
Marsch zur Siegesfeier.



M. Die Becherpflanze. Diese merkwürdige Pflanze wächst an den
dürren, steinigen Stellen der Jnsel Java. An jedem Blattstiel befindet
sich ein kleiner Beutel, der genau wie ein Becher geformt und mit einem
Deckel versehen ist. Bei Regenwetter oder wenn der Thau fällt, öffnet sich
der Deckel, die zahlreichen kleinen Becher füllen sich mit süßem frischem
Wasser und gewähren den Vögeln nebst andern kleinen Thieren, die an
den Zweigen hinauf klettern, an den wasserarmen Stellen einen erquicken-
den Trank. Sobald aber die Wolke vorüber ist und die warme Sonne
wieder scheint, schließen die kleinen Becher sich so fest, daß nichts von dem
Jnhalt verdunsten kann und der Vorrath für eine andere Zeit auf-
bewahrt bleibt.



M. Das Klavier der unglücklichen Marie Antoinette. Ein Kano-
nier der National=Garde von Paris nahm mit seinen Gefährten am
20. August 1792 Besitz von den Tuilerien. Jn den Musiksaal gelangend,
sah er, wie eine Anzahl Sieger sich mit großem Eifer abmühte, das Kla-
vier der Königin Marie Antoinette in den Garten hinab zu werfen. Be-
reits war das Jnstrument auf das Fenster gehoben, als der Bürgersoldat
der Schaar ein "Haltet ein!" zurief. "So laß uns doch", antwortete man
ihm; "die Gerechtigkeit des Volkes muß ihren Lauf haben! Warum sollen
wir übrigens auch diesen Kasten schonen, da die übrigen Möbel bereits
den Sprung hinab gemacht haben? Es muß hier aufgeräumt werden; die
Spiegel sind zerschlagen, die Gemälde zerschlitzt -- warum sollte der ver-
goldete Kasten ein besseres Schicksal verdienen, da er doch dem Volk nichts
nützen kann?" "Dieser Kasten", entgegnete der Kanonier, "birgt unsere
[Spaltenumbruch] patriotischen Lieder in sich, und ich will ihn gleich veranlassen, sie hören zu
lassen. Setzt ihn wieder herab, und wenn seine Töne verklungen sind,
werdet Jhr ihn gewiß begnadigen."

Und der Kanonier spielte auf dem königlichen Klavier " Ca ira," die
Carmagnole und die Marseillaise, und die entzückte Schaar fiel singend
ein. Nun durfte das Klavier, das die beliebten National=Melodien "sang",
dessen Töne die Fanatiker zur Begeisterung hinrissen, nicht mehr leiden; die
Schaar brachte demselben vielmehr ihre Huldigung dar. Es gelang dem
Kanonier, die Anwesenden aus dem Saal zu treiben, und das Klavier
war gerettet. Jener, der früher Stimmer des Klaviers der Königin ge-
wesen, ward später Hauptmann und erstand dasselbe bei der Versteigerung
des Mobiliars der Königin Hortense, im Jahre 1814, mit Thränen in
den Augen.



M. Der Vatican in Rom ist unstreitig das größte Wohngebäude; es
enthält 13,000 Zimmer, 20 Höfe und 200 Treppen. Letztere, vollständig
mit Menschen besetzt, würden eine mittlere Stadt mit Einwohnern füllen.



M. Mirabeau rief kurz vor seinem Ende mit der ihm eigenen Energie:
"Meine Schmerzen sind fürchterlich! Jch habe noch Kraft für ein Jahr-
hundert, und nicht mehr für einen Augenblick Muth!"



Briefkasten.

R. D. in Dresden: Besten Bank. Soll benutzt werden. --
J. Chr. L....ch in M.: Jst wohl für ein anderes Blatt bestimmt und
nur irrthümlich an uns adressirt. -- Jngenieur in Wien: Nicht allzu
originell. -- V. R. in Berlin: Für die nächste Zeit unmöglich; wenn
Sie es abwarten wollen, sehr gern.

[Ende Spaltensatz]

Zur Besprechung die Redaktion betreffender Angelegenheiten ist der Redakteur dieses Blattes jeden Montag und Dienstag von
12 bis 2 Uhr in dem Redaktionsbureau, Potsdamerstraße Nr. 20, anwesend, wohin auch alle Zusendungen erbeten werden.



Druck und Verlag von Franz Duncker in Berlin. -- Verantwortlicher Redakteur: Ernst Dohm in Berlin.

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Allein dies selbstständige Auftreten und diese Milde gegen die
Person des unglücklichen Königs brachte ihn mit den Jakobinern,
seinen früheren Gesinnungsgenossen, in argen Konflikt. Er selbst
spricht sich hierüber in einem Brief an einen seiner Freunde und in
der Vorrede zum zweiten Theil seines „Zeitalters der Vernunft“ fol-
gendermaßen aus: „Nach der Abstimmung über die Hinrichtung des
Königs besuchte ich nur selten, und auch dann nur auf kurze Zeit die
Sitzungen des Konvents; es war mir nämlich unmöglich, an den
grauenhaften Beschlüssen desselben Theil zu nehmen, und ein Wider-
stand dagegen war ebenso nutzlos wie gefährlich. Daß ich gegen
den Tod Ludwigs XVI. in ausführlicher Weise gesprochen und ge-
stimmt, hatte mich verdächtig gemacht. Keiner meiner Freunde im
Konvent wagte mich zu vertheidigen. Auch Tinte und Feder waren
von keinem Nutzen. Durch Schreiben konnte ich nichts Gutes stiften,
denn ich hätte weder einen Uebersetzer noch einen Drucker gefunden.
Man war von den gerechten und humanen Grundsätzen der Revo-
lution, welche die Philosophie anfänglich verbreitet hatte, abgewichen.
Der unduldsame Geist der Kirchenverfolgungen war in die Politik
übergegangen; das sogenannte revolutionäre Tribunal nahm die Stelle
der Jnquisition ein, und die Guillotine und der Pfahl überboten die
Scheiterhaufen der Kirche. Jch sah viele meiner vertrautesten Freunde
fallen, andere täglich ins Gefängniß geschleppt werden, und ich selbst
hatte Grund, zu glauben, und es waren mir gleichfalls Winke ge-
geben worden, daß dieselbe Gefahr auch mir drohe. Gegen Ende des
Monats Dezember 1793 wurde im Konvent der Antrag gestellt und
angenommen, welcher die Ausstoßung jedes Ausländers aus dieser Ver-
sammlung bezweckte. Es befanden sich aber nur zwei Ausländer
darin, Anacharsis Clootz und ich, und ich begriff wohl, daß Bourdon
de l'Oise in seiner Rede über jenen Antrag mich besonders ins Auge
faßte.“

Unter solchen Umständen beeilte sich Paine, den ersten Theil seines
Age of Reason “ zu beendigen. Er hatte denselben noch nicht län-
ger als sechs Stunden vollendet, da erschien die Wache, welche ihn als
Ausländer verhaftete und in das Gefängniß des Luxembourg abführte.
Es gelang ihm aber, das Manuskript seines Werkes in die Hände
seines Freundes Joel Barlow niederzulegen. Die strenge Gefangen-
schaft Paine's währte bis zum Tode Robespierre's, am 28. Juli
1794. Wie uns durch Paine selbst berichtet wird, befand sich unter
[Spaltenumbruch] den Papieren Robespierre's, worüber von einem Ausschuß von Kon-
ventsmitgliedern eine Untersuchung angestellt und an den Konvent
Bericht erstattet wurde, ein von Robespierre eigenhändig geschriebener
Zettel, der folgende Worte enthielt: „ Demander que Thomas Paine
soit décrété d'accusation, pour l'intérêt de l'Amérique autant
que de la France
“. Die in Paris anwesenden Amerikaner hatten
vergeblich den Versuch beim Konvent gemacht, ihren Landsmann zu
befreien, und selbst nach dem Falle Robespierre's erhielt Paine nicht
sofort seine volle Freiheit wieder. Erst den eifrigen Bemühungen
des amerikanischen Gesandten James Monroe gelang es, am 4. No-
vember 1794 seine vollständige Freilassung zu erwirken. So hatte
Paine eine nahezu einjährige Gefängnißhaft erduldet; doch war diese
Zeit von ihm nicht ungenutzt gelassen worden. Er hatte den zweiten
Theil seines „Zeitalters der Vernunft“ der Vollendung entgegen-
geführt. Durch wunderbare Zufälle war er dem Tode durch die
Guillotine entgangen; das erste Mal war er nämlich durch eine heftige
Krankheit davor bewahrt worden, das andere Mal rettete ihn ein
viel seltsamerer Umstand. Hören wir hierüber ihn selbst: „Das
Zimmer, in welchem ich gefangen saß, war zu ebener Erde und ge-
hörte zu einer langen Reihe von Räumen, deren Ausgänge auf einen
Korridor führten. Wenn die Thür desselben, die sich nach außenhin
öffnete, ganz offen stand, so fiel sie glatt an die Wand. Jch hatte
drei Stubengenossen, Joseph Vanhuele aus Brügge, Charles Bastini
und Michael Rubyns aus Löwen in Belgien. Eines Tages war
bestimmt worden, daß hundertundsechszig der Gefangenen hingerichtet
werden sollten; auch ich gehörte zu dieser Zahl. Es war nun Sitte
im Luxembourg=Gefängniß, daß, wenn eine große Menge von Ge-
fangenen hingerichtet werden sollte, man dieselben in der Nacht ab-
führte. Zu diesem Zweck machten diejenigen, welche die Todeskandi-
daten abholten, irgend ein Zeichen an die Thür des Zimmers, aus
welchem die Opfer für den nächsten Tag kommen sollten. Die Thür
zu meinem Gefängnißzimmer war nun ganz offen und an die Wand
gelehnt gewesen, als das betreffende Zeichen darauf gemacht worden
war. Wir hatten dieselbe, als die Nacht herankam, geschlossen, und
so ging der Todesengel an uns vorüber. Wenige Tage darauf
erfolgte der Sturz Robespierre's; der amerikanische Gesandte rekla-
mirte mich späterhin und nahm mich längere Zeit bei sich in seiner
eigenen Wohnung auf.“     ( Schluß folgt. )

[Ende Spaltensatz]

Lose Blätter.
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M. Der Dessauer Marsch. Wie alt ist nicht der Dessauer Marsch
und wie lange hat er sich erhalten! Während des ganzen siebenjährigen
Krieges führte er das preußische Heer zum Kampf und zum Sieg. Wer
ist der Komponist? Ein Jtaliener; aber der Name desselben ist wohl nicht
mehr zu ermitteln. Als der Fürst Leopold von Dessau unter dem Oberbefehl
des Prinzen Eugen am 16. August 1705 mit 8000 Preußen die Schlacht
bei Cassano mitgekämpft hatte, überraschten ihn die Einwohner mit diesem
Marsch zur Siegesfeier.



M. Die Becherpflanze. Diese merkwürdige Pflanze wächst an den
dürren, steinigen Stellen der Jnsel Java. An jedem Blattstiel befindet
sich ein kleiner Beutel, der genau wie ein Becher geformt und mit einem
Deckel versehen ist. Bei Regenwetter oder wenn der Thau fällt, öffnet sich
der Deckel, die zahlreichen kleinen Becher füllen sich mit süßem frischem
Wasser und gewähren den Vögeln nebst andern kleinen Thieren, die an
den Zweigen hinauf klettern, an den wasserarmen Stellen einen erquicken-
den Trank. Sobald aber die Wolke vorüber ist und die warme Sonne
wieder scheint, schließen die kleinen Becher sich so fest, daß nichts von dem
Jnhalt verdunsten kann und der Vorrath für eine andere Zeit auf-
bewahrt bleibt.



M. Das Klavier der unglücklichen Marie Antoinette. Ein Kano-
nier der National=Garde von Paris nahm mit seinen Gefährten am
20. August 1792 Besitz von den Tuilerien. Jn den Musiksaal gelangend,
sah er, wie eine Anzahl Sieger sich mit großem Eifer abmühte, das Kla-
vier der Königin Marie Antoinette in den Garten hinab zu werfen. Be-
reits war das Jnstrument auf das Fenster gehoben, als der Bürgersoldat
der Schaar ein „Haltet ein!“ zurief. „So laß uns doch“, antwortete man
ihm; „die Gerechtigkeit des Volkes muß ihren Lauf haben! Warum sollen
wir übrigens auch diesen Kasten schonen, da die übrigen Möbel bereits
den Sprung hinab gemacht haben? Es muß hier aufgeräumt werden; die
Spiegel sind zerschlagen, die Gemälde zerschlitzt — warum sollte der ver-
goldete Kasten ein besseres Schicksal verdienen, da er doch dem Volk nichts
nützen kann?“ „Dieser Kasten“, entgegnete der Kanonier, „birgt unsere
[Spaltenumbruch] patriotischen Lieder in sich, und ich will ihn gleich veranlassen, sie hören zu
lassen. Setzt ihn wieder herab, und wenn seine Töne verklungen sind,
werdet Jhr ihn gewiß begnadigen.“

Und der Kanonier spielte auf dem königlichen Klavier „ Ça ira,“ die
Carmagnole und die Marseillaise, und die entzückte Schaar fiel singend
ein. Nun durfte das Klavier, das die beliebten National=Melodien „sang“,
dessen Töne die Fanatiker zur Begeisterung hinrissen, nicht mehr leiden; die
Schaar brachte demselben vielmehr ihre Huldigung dar. Es gelang dem
Kanonier, die Anwesenden aus dem Saal zu treiben, und das Klavier
war gerettet. Jener, der früher Stimmer des Klaviers der Königin ge-
wesen, ward später Hauptmann und erstand dasselbe bei der Versteigerung
des Mobiliars der Königin Hortense, im Jahre 1814, mit Thränen in
den Augen.



M. Der Vatican in Rom ist unstreitig das größte Wohngebäude; es
enthält 13,000 Zimmer, 20 Höfe und 200 Treppen. Letztere, vollständig
mit Menschen besetzt, würden eine mittlere Stadt mit Einwohnern füllen.



M. Mirabeau rief kurz vor seinem Ende mit der ihm eigenen Energie:
„Meine Schmerzen sind fürchterlich! Jch habe noch Kraft für ein Jahr-
hundert, und nicht mehr für einen Augenblick Muth!“



Briefkasten.

R. D. in Dresden: Besten Bank. Soll benutzt werden. —
J. Chr. L....ch in M.: Jst wohl für ein anderes Blatt bestimmt und
nur irrthümlich an uns adressirt. — Jngenieur in Wien: Nicht allzu
originell. — V. R. in Berlin: Für die nächste Zeit unmöglich; wenn
Sie es abwarten wollen, sehr gern.

[Ende Spaltensatz]

☞ Zur Besprechung die Redaktion betreffender Angelegenheiten ist der Redakteur dieses Blattes jeden Montag und Dienstag von
12 bis 2 Uhr in dem Redaktionsbureau, Potsdamerstraße Nr. 20, anwesend, wohin auch alle Zusendungen erbeten werden.



Druck und Verlag von Franz Duncker in Berlin. — Verantwortlicher Redakteur: Ernst Dohm in Berlin.

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[88/0008] 88 Allein dies selbstständige Auftreten und diese Milde gegen die Person des unglücklichen Königs brachte ihn mit den Jakobinern, seinen früheren Gesinnungsgenossen, in argen Konflikt. Er selbst spricht sich hierüber in einem Brief an einen seiner Freunde und in der Vorrede zum zweiten Theil seines „Zeitalters der Vernunft“ fol- gendermaßen aus: „Nach der Abstimmung über die Hinrichtung des Königs besuchte ich nur selten, und auch dann nur auf kurze Zeit die Sitzungen des Konvents; es war mir nämlich unmöglich, an den grauenhaften Beschlüssen desselben Theil zu nehmen, und ein Wider- stand dagegen war ebenso nutzlos wie gefährlich. Daß ich gegen den Tod Ludwigs XVI. in ausführlicher Weise gesprochen und ge- stimmt, hatte mich verdächtig gemacht. Keiner meiner Freunde im Konvent wagte mich zu vertheidigen. Auch Tinte und Feder waren von keinem Nutzen. Durch Schreiben konnte ich nichts Gutes stiften, denn ich hätte weder einen Uebersetzer noch einen Drucker gefunden. Man war von den gerechten und humanen Grundsätzen der Revo- lution, welche die Philosophie anfänglich verbreitet hatte, abgewichen. Der unduldsame Geist der Kirchenverfolgungen war in die Politik übergegangen; das sogenannte revolutionäre Tribunal nahm die Stelle der Jnquisition ein, und die Guillotine und der Pfahl überboten die Scheiterhaufen der Kirche. Jch sah viele meiner vertrautesten Freunde fallen, andere täglich ins Gefängniß geschleppt werden, und ich selbst hatte Grund, zu glauben, und es waren mir gleichfalls Winke ge- geben worden, daß dieselbe Gefahr auch mir drohe. Gegen Ende des Monats Dezember 1793 wurde im Konvent der Antrag gestellt und angenommen, welcher die Ausstoßung jedes Ausländers aus dieser Ver- sammlung bezweckte. Es befanden sich aber nur zwei Ausländer darin, Anacharsis Clootz und ich, und ich begriff wohl, daß Bourdon de l'Oise in seiner Rede über jenen Antrag mich besonders ins Auge faßte.“ Unter solchen Umständen beeilte sich Paine, den ersten Theil seines „ Age of Reason “ zu beendigen. Er hatte denselben noch nicht län- ger als sechs Stunden vollendet, da erschien die Wache, welche ihn als Ausländer verhaftete und in das Gefängniß des Luxembourg abführte. Es gelang ihm aber, das Manuskript seines Werkes in die Hände seines Freundes Joel Barlow niederzulegen. Die strenge Gefangen- schaft Paine's währte bis zum Tode Robespierre's, am 28. Juli 1794. Wie uns durch Paine selbst berichtet wird, befand sich unter den Papieren Robespierre's, worüber von einem Ausschuß von Kon- ventsmitgliedern eine Untersuchung angestellt und an den Konvent Bericht erstattet wurde, ein von Robespierre eigenhändig geschriebener Zettel, der folgende Worte enthielt: „ Demander que Thomas Paine soit décrété d'accusation, pour l'intérêt de l'Amérique autant que de la France “. Die in Paris anwesenden Amerikaner hatten vergeblich den Versuch beim Konvent gemacht, ihren Landsmann zu befreien, und selbst nach dem Falle Robespierre's erhielt Paine nicht sofort seine volle Freiheit wieder. Erst den eifrigen Bemühungen des amerikanischen Gesandten James Monroe gelang es, am 4. No- vember 1794 seine vollständige Freilassung zu erwirken. So hatte Paine eine nahezu einjährige Gefängnißhaft erduldet; doch war diese Zeit von ihm nicht ungenutzt gelassen worden. Er hatte den zweiten Theil seines „Zeitalters der Vernunft“ der Vollendung entgegen- geführt. Durch wunderbare Zufälle war er dem Tode durch die Guillotine entgangen; das erste Mal war er nämlich durch eine heftige Krankheit davor bewahrt worden, das andere Mal rettete ihn ein viel seltsamerer Umstand. Hören wir hierüber ihn selbst: „Das Zimmer, in welchem ich gefangen saß, war zu ebener Erde und ge- hörte zu einer langen Reihe von Räumen, deren Ausgänge auf einen Korridor führten. Wenn die Thür desselben, die sich nach außenhin öffnete, ganz offen stand, so fiel sie glatt an die Wand. Jch hatte drei Stubengenossen, Joseph Vanhuele aus Brügge, Charles Bastini und Michael Rubyns aus Löwen in Belgien. Eines Tages war bestimmt worden, daß hundertundsechszig der Gefangenen hingerichtet werden sollten; auch ich gehörte zu dieser Zahl. Es war nun Sitte im Luxembourg=Gefängniß, daß, wenn eine große Menge von Ge- fangenen hingerichtet werden sollte, man dieselben in der Nacht ab- führte. Zu diesem Zweck machten diejenigen, welche die Todeskandi- daten abholten, irgend ein Zeichen an die Thür des Zimmers, aus welchem die Opfer für den nächsten Tag kommen sollten. Die Thür zu meinem Gefängnißzimmer war nun ganz offen und an die Wand gelehnt gewesen, als das betreffende Zeichen darauf gemacht worden war. Wir hatten dieselbe, als die Nacht herankam, geschlossen, und so ging der Todesengel an uns vorüber. Wenige Tage darauf erfolgte der Sturz Robespierre's; der amerikanische Gesandte rekla- mirte mich späterhin und nahm mich längere Zeit bei sich in seiner eigenen Wohnung auf.“ ( Schluß folgt. ) Lose Blätter. M. Der Dessauer Marsch. Wie alt ist nicht der Dessauer Marsch und wie lange hat er sich erhalten! Während des ganzen siebenjährigen Krieges führte er das preußische Heer zum Kampf und zum Sieg. Wer ist der Komponist? Ein Jtaliener; aber der Name desselben ist wohl nicht mehr zu ermitteln. Als der Fürst Leopold von Dessau unter dem Oberbefehl des Prinzen Eugen am 16. August 1705 mit 8000 Preußen die Schlacht bei Cassano mitgekämpft hatte, überraschten ihn die Einwohner mit diesem Marsch zur Siegesfeier. M. Die Becherpflanze. Diese merkwürdige Pflanze wächst an den dürren, steinigen Stellen der Jnsel Java. An jedem Blattstiel befindet sich ein kleiner Beutel, der genau wie ein Becher geformt und mit einem Deckel versehen ist. Bei Regenwetter oder wenn der Thau fällt, öffnet sich der Deckel, die zahlreichen kleinen Becher füllen sich mit süßem frischem Wasser und gewähren den Vögeln nebst andern kleinen Thieren, die an den Zweigen hinauf klettern, an den wasserarmen Stellen einen erquicken- den Trank. Sobald aber die Wolke vorüber ist und die warme Sonne wieder scheint, schließen die kleinen Becher sich so fest, daß nichts von dem Jnhalt verdunsten kann und der Vorrath für eine andere Zeit auf- bewahrt bleibt. M. Das Klavier der unglücklichen Marie Antoinette. Ein Kano- nier der National=Garde von Paris nahm mit seinen Gefährten am 20. August 1792 Besitz von den Tuilerien. Jn den Musiksaal gelangend, sah er, wie eine Anzahl Sieger sich mit großem Eifer abmühte, das Kla- vier der Königin Marie Antoinette in den Garten hinab zu werfen. Be- reits war das Jnstrument auf das Fenster gehoben, als der Bürgersoldat der Schaar ein „Haltet ein!“ zurief. „So laß uns doch“, antwortete man ihm; „die Gerechtigkeit des Volkes muß ihren Lauf haben! Warum sollen wir übrigens auch diesen Kasten schonen, da die übrigen Möbel bereits den Sprung hinab gemacht haben? Es muß hier aufgeräumt werden; die Spiegel sind zerschlagen, die Gemälde zerschlitzt — warum sollte der ver- goldete Kasten ein besseres Schicksal verdienen, da er doch dem Volk nichts nützen kann?“ „Dieser Kasten“, entgegnete der Kanonier, „birgt unsere patriotischen Lieder in sich, und ich will ihn gleich veranlassen, sie hören zu lassen. Setzt ihn wieder herab, und wenn seine Töne verklungen sind, werdet Jhr ihn gewiß begnadigen.“ Und der Kanonier spielte auf dem königlichen Klavier „ Ça ira,“ die Carmagnole und die Marseillaise, und die entzückte Schaar fiel singend ein. Nun durfte das Klavier, das die beliebten National=Melodien „sang“, dessen Töne die Fanatiker zur Begeisterung hinrissen, nicht mehr leiden; die Schaar brachte demselben vielmehr ihre Huldigung dar. Es gelang dem Kanonier, die Anwesenden aus dem Saal zu treiben, und das Klavier war gerettet. Jener, der früher Stimmer des Klaviers der Königin ge- wesen, ward später Hauptmann und erstand dasselbe bei der Versteigerung des Mobiliars der Königin Hortense, im Jahre 1814, mit Thränen in den Augen. M. Der Vatican in Rom ist unstreitig das größte Wohngebäude; es enthält 13,000 Zimmer, 20 Höfe und 200 Treppen. Letztere, vollständig mit Menschen besetzt, würden eine mittlere Stadt mit Einwohnern füllen. M. Mirabeau rief kurz vor seinem Ende mit der ihm eigenen Energie: „Meine Schmerzen sind fürchterlich! Jch habe noch Kraft für ein Jahr- hundert, und nicht mehr für einen Augenblick Muth!“ Briefkasten. R. D. in Dresden: Besten Bank. Soll benutzt werden. — J. Chr. L....ch in M.: Jst wohl für ein anderes Blatt bestimmt und nur irrthümlich an uns adressirt. — Jngenieur in Wien: Nicht allzu originell. — V. R. in Berlin: Für die nächste Zeit unmöglich; wenn Sie es abwarten wollen, sehr gern. ☞ Zur Besprechung die Redaktion betreffender Angelegenheiten ist der Redakteur dieses Blattes jeden Montag und Dienstag von 12 bis 2 Uhr in dem Redaktionsbureau, Potsdamerstraße Nr. 20, anwesend, wohin auch alle Zusendungen erbeten werden. Druck und Verlag von Franz Duncker in Berlin. — Verantwortlicher Redakteur: Ernst Dohm in Berlin.

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 11. Berlin, 15. März 1868, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt11_1868/8>, abgerufen am 15.06.2024.