Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sonntags-Blatt. Nr. 21. Berlin, 24. Mai 1868.

Bild:
<< vorherige Seite
[Beginn Spaltensatz]
Die blutige Marie.
( Schluß. )

Doch damit war dem Fanatismus der Königin noch lange nicht
genug gethan. Mit Feuer und Schwert wollte sie ihr Rück-
bekehrungswerk vollziehen und jedes widerspenstige Element ver-
nichten Dazu aber mußte sie sich noch durch auswärtige Ver-
bindungen stärken, um im Nothfall einen Schutz gegen das eigene
Volk in denselben zu finden. So reichte sie dem Könige von Spa-
nien, dem ihr fast unheimlich gleichgestimmten Philipp II., die Hand
zum Ehebund. Diese Verbindung erzeugte zugleich das politische
Bündniß Englands mit Spanien gegen Frankreich; doch war der
daraus entspringende Krieg gegen Frankreich ein so unglücklicher, daß
England auch den letzten Rest seiner einstigen Eroberungen in Frank-
reich, denen Johanna d'Arc ein Ziel setzte, die Stadt Calais, verlor.
Dieser Verlust kränkte die Königin zwar so tief, daß sie ihn nie über-
wand und oft versicherte, man würde nach ihrem Tode den Namen
"Calais" in ihrem Herzen finden, allein er änderte nichts an ihrem
harten Sinn; nur noch grausamer und blutdürstiger machte sie das
Unglück. Den Groll, welchen sie an Frankreich nicht auslassen konnte,
wandte sie in ganzer Fülle ihren ketzerischen Unterthanen zu.

Bald waren die Prozesse im Gange; die Jnquisition in ihrer
ernstesten Gestalt, nur ohne ihren Namen, und die Scheiterhaufen
flammten auf, um zur Ehre Gottes die Ketzerleiber in Asche zu ver-
wandeln, welche der Wind spurlos verwehte, wie ihren Glauben spurlos
anszurotten der grausame Wille der blutigen Königin war.

Jn drei Jahren, einer kurzen Spanne Zeit für so viele Schrecken,
bestiegen 277 Personen den Scheiterhaufen und wurden auf Befehl
der Königin lebendig verbrannt, auch wohl an einem langsamen
Feuer nach und nach verzehrt.

Die katholische Kirche, d. i. ihre Priester, hatten eine meisterliche
Virtuosität darin erlangt, der Hölle ihre Schrecken abzulauschen, und
ihre Kunst in solchen infernalen Erfindungen wurde nur noch von der
unmenschlichen, gefühllosen Grausamkeit übertroffen, mit welcher sie
dieselben zur Ausführung brachten.

Maria, die Blutige, wetteiferte mit ihrem Gemahl, dem finstern
Philipp, um den Preis der Schrecken; ihre Werke in England dürfen
sich vor denen der spanischen Jnquisition nicht scheuen. Gottes-
geißeln glichen sie Beide in dem schändlichen Mißbrauch ihrer ver-
liehenen Macht. Beiden fiel freilich auch dasselbe Loos der Ver-
achtung zu, des Abscheu's aller Zeiten, deren düstere Schatten schon
dem Ende ihrer Lebenstage schwebten.

Scenen voll vernichtender Schrecken finden sich in diesem Ketzer-
ausrottungswerk der blutigen Maria; denn Eifer und Haß wuchsen,
je weniger ihre infernalischen Mittel Früchte trugen. Die zum Tode
verurtheilten Protestanten starben glaubensfest und heiter den furcht-
baren Flammentod, mit der gleichen Freudigkeit, wie die ersten Christen
unter der Heidenverfolgung, und die zurückgebliebenen Glaubens-
genossen stärkten sich durch der Märtyrer Beispiel zum treuen Fest-
halten an ihrem Glauben. Siegreich richteten sich die gestählten
Geister empor über die Gewalt, welche nur an das Fleisch konnte,
aber keine Macht über die Seelen hatte.

Alle Grausamkeit, die nicht Alter noch Geschlecht achtete, wurde
nutzlos verschwendet und grub sich nur mit blutigen Ziffern in die
Blätter der Weltgeschichte ein, die darüber zu Gericht sitzt. Geistliche,
Frauen, ja selbst Kinder mußten den Flammentod erleiden. Ein Ver-
dacht, eine freie Vertheidigung, eine Weigerung in die Messe zu
gehen oder einen katholischen Artikel zu unterzeichnen, brachte un-
weigerlich den Tod; eben so verfiel Jeder dem Henker, bei dem ketze-
rische Bücher und Schriften vorgefunden wurden.

Herzzerreißende Scenen spielten vor und auf den Scheiterhaufen.

Eine Frau gebar, während sie den Flammentod erlitt, und die
noch nicht entmenschten Wachen wollten das Kind retten. Aber die
katholischen Ketzerrichter ließen auch das unschuldige Wesen wieder in
die Flammen werfen; es sei mit der Mutter zugleich verurtheilt
worden.

Zwei ehrwürdige Protestantengreise, die Bischöfe Ridley von Lon-
don und Latimer zu Worcester, wurden ebenfalls zum Scheiterhaufen
verurtheilt. Beide waren durch Gelehrsamkeit, Scharfsinn und Fröm-
migkeit hervorragend, der achtzigjährige Latimer aber zeichnete sich
noch durch strenge Einfalt der Sitten aus, so daß selbst die Großen
des Reiches seine freimüthigen Verweise fürchteten.

Als dieser achtzigjährige Greis an Ridley's Seite den Holzstoß
bestieg und derselbe ihm niedergedrückten Sinnes erschien, da tröstete
er ihn mit den prophetischen Worten: "Sei getrost, Bruder! Wir
werden heut eine solche Fackel in England anzünden, die, wie ich zu
Gott hoffe, niemals auslöschen soll!"

Und das prophetische Wort des Greises behielt Recht. Jmmer
erbitterter wurde das Volk gegen die blutige Königin, immer lauter
[Spaltenumbruch] ertönte der Wunsch, daß Gottes Arm die Grausame ereilen möge --
und über ihrem verachteten Grabe erhob sich der Bau der protestan-
tischen Lehre, den sie spurlos hatte austilgen wollen, zu unerschütter-
licher Festigkeit.

Ein anderer protestantischer Geistlicher, dem noch auf dem Holz-
stoß Gnade angeboten wurde, wenn er seinen Glauben abschwören
wolle, umarmte statt der Antwort den Pfahl und rief: "Willkommen,
Kreuz Christi! Willkommen, ewiges Leben!"

So wetteiferten hier Grausamkeit und Fanatismus mit der
Standhaftigkeit und Glaubenstreue; aber der Geist trug triumphi-
rend den Sieg davon über die Kleinlichkeiten der Erde.

Ein alter armer Fischer hatte es sich vom Munde abgedarbt, daß
sein Sohn lesen lernte und ihm nun die heilige Schrift vorlesen
konnte. Die geistliche Behörde witterte es aus; der Prozeß wurde
anhängig gemacht, und der alte Mann bestieg den Scheiterhaufen.

Aber immer noch lebte der Königin Todfeind, er, den sie am
am bittersten haßte, der Bischof Cranmer. Er war der vorzüglichste
Hort der Protestanten, ja der eigentliche Stifter des Protestantismus
in England. Er war es aber auch, der die erste Ehescheidung Hein-
richs VIII. von Maria's Mutter, die England von dem Papst los-
riß, gut geheißen und befördert und die katholische Maria selbst von
der Thronfolge ausgeschlossen hatte. Diesen Greis traf Maria's
unauslöschlicher Haß; jetzt, nachdem so viele Schrecken geschehen waren
und das Volk an den fast nie verlöschenden Scheiterhaufen sich ge-
wöhnt hatte, hielt sie die Zeit für günstig, auch den mächtigsten
Strebepfeiler der Protestantenkirche zu vernichten.

Bereits seit drei Jahren lag Cranmer, seiner Würden beraubt, im
Kerker, und war dabei so schwach geworden und gebrochen, daß er
endlich den nie endenden Zureden der katholischen Pfaffen nachgab und
eine Schrift unterschrieb, durch welche er die Oberherrschaft des
Papstes und die von demselben vorgeschriebenen Lehrsätze anerkannte.

Maria triumphirte über diesen endlichen Sieg, aber ihre Rachsucht
befriedigte er noch nicht. Die Teufelin verfügte, daß der Greis den-
noch brennen solle. Aber zuvor sollte er, um den Sieg zu vervoll-
ständigen, im Glauben an das Leben, das ihm sein Widerruf ge-
rettet habe, in einer Kirche zu Oxford vor den Lords und dem Volk
seine Bekehrung öffentlich bekennen -- und dann den Flammentod
erleiden.

Der Greis wurde herbeigeführt; allein plötzlich richtete sich der
Gebrochene mit Jünglingskraft und Verklärung in den edlen Zügen
empor und erklärte, daß nur die Todesfurcht ihn einen Augenblick
überwältigt habe, seinen Glauben zu verleugnen, von dem er über-
zeugt sei, daß er von Gott stamme. Feierlich widerrief er die von
ihm unterzeichnete Bekehrungsschrift und schloß, daß diese rechte Hand,
welche sein Herz verrathen habe, auch vorzüglich gestraft werden
müsse. Und als er gleich darnach den Holzstoß bestieg, da vollzog er
selbst diese Strafe. Er streckte die Hand, mit welcher er das falsche
Bekenntniß unterschrieben hatte, so lange in die lodernden Flammen,
bis sie völlig von denselben verzehrt war, und rief dabei mehrmals
laut aus: "Diese nichtswürdige Hand hat gesündigt!" So sehr war
er von der Reue über seinen begangenen Fehler erfüllt, daß er die
Martern des Leibes nicht zu fühlen schien, und standhaft starb zur
Sühne für die früher begangene Schwäche.

So war der blutigen Maria auch hier, wie überall, kein Sieg,
keine Genugthuung beschieden. Gedemüthigt stand sie mit all' ihrer
Macht und Grausamkeit vor der Macht der Geister, an die sie nicht
heranreichte. Jhr Unmuth, ihr unversöhnlicher Groll stieg; sie haßte
das Volk, welches sie wieder haßte, verzehrte sich innerlich an dem Haß
und der Schmach, welche die Niederlagen im eigenen Lande, wie
gegen Frankreich, ihr bereiteten, und einsam welkte sie dem Grabe
entgegen, denn Philipp hatte sie verlassen und kämpfte gegen Frank-
reich; er hatte sie stets nur mit kalter Gleichgültigkeit behandelt, die
Ehe blieb kinderlos, und er kehrte nicht wieder zu ihr zurück.

Jm Jahre 1558 erlebte sie dann die Schmach, daß Calais ver-
loren ging. Das laute Murren des Volkes, welches für diesen un-
sinnigen Krieg auf die härteste und gesetzwidrigste Weise ausgepreßt
wurde, vermehrte ihre innerlich am Lebensmark zehrende Wuth, an
der sie bald darauf, noch in demselben Jahre, an einem hitzigen
Fieber starb.

Noch in ihren letzten Lebenstagen war sie damit umgegangen,
ihre protestantische Stiefschwester Elisabeth, die vorsichtig und nur für
ihre Studien in stiller Abgeschiedenheit lebte, trotzdem aber das Miß-
trauen der Königin und ihren Haß gegen eine protestantische Nach-
folgerin stets wach erhielt, enthaupten zu lassen. Nur Philipps II.
entschiedener Widerspruch rettete die Prinzessin; denn wenn Elisabeth
todt war, so wurde Maria Stuart von Schottland Thronerbin von
England, die sich so eben mit dem französischen Dauphin vermählt hatte.
Sie hätte dann die Kronen von Frankreich, England und Schottland
auf ihrem Haupt vereinigt -- das furchtbarste Schreckgespenst für den
finstern Spanier.

So blieb Elisabeth am Leben und stieg, über die Leiche Maria's,
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz]
Die blutige Marie.
( Schluß. )

Doch damit war dem Fanatismus der Königin noch lange nicht
genug gethan. Mit Feuer und Schwert wollte sie ihr Rück-
bekehrungswerk vollziehen und jedes widerspenstige Element ver-
nichten Dazu aber mußte sie sich noch durch auswärtige Ver-
bindungen stärken, um im Nothfall einen Schutz gegen das eigene
Volk in denselben zu finden. So reichte sie dem Könige von Spa-
nien, dem ihr fast unheimlich gleichgestimmten Philipp II., die Hand
zum Ehebund. Diese Verbindung erzeugte zugleich das politische
Bündniß Englands mit Spanien gegen Frankreich; doch war der
daraus entspringende Krieg gegen Frankreich ein so unglücklicher, daß
England auch den letzten Rest seiner einstigen Eroberungen in Frank-
reich, denen Johanna d'Arc ein Ziel setzte, die Stadt Calais, verlor.
Dieser Verlust kränkte die Königin zwar so tief, daß sie ihn nie über-
wand und oft versicherte, man würde nach ihrem Tode den Namen
„Calais“ in ihrem Herzen finden, allein er änderte nichts an ihrem
harten Sinn; nur noch grausamer und blutdürstiger machte sie das
Unglück. Den Groll, welchen sie an Frankreich nicht auslassen konnte,
wandte sie in ganzer Fülle ihren ketzerischen Unterthanen zu.

Bald waren die Prozesse im Gange; die Jnquisition in ihrer
ernstesten Gestalt, nur ohne ihren Namen, und die Scheiterhaufen
flammten auf, um zur Ehre Gottes die Ketzerleiber in Asche zu ver-
wandeln, welche der Wind spurlos verwehte, wie ihren Glauben spurlos
anszurotten der grausame Wille der blutigen Königin war.

Jn drei Jahren, einer kurzen Spanne Zeit für so viele Schrecken,
bestiegen 277 Personen den Scheiterhaufen und wurden auf Befehl
der Königin lebendig verbrannt, auch wohl an einem langsamen
Feuer nach und nach verzehrt.

Die katholische Kirche, d. i. ihre Priester, hatten eine meisterliche
Virtuosität darin erlangt, der Hölle ihre Schrecken abzulauschen, und
ihre Kunst in solchen infernalen Erfindungen wurde nur noch von der
unmenschlichen, gefühllosen Grausamkeit übertroffen, mit welcher sie
dieselben zur Ausführung brachten.

Maria, die Blutige, wetteiferte mit ihrem Gemahl, dem finstern
Philipp, um den Preis der Schrecken; ihre Werke in England dürfen
sich vor denen der spanischen Jnquisition nicht scheuen. Gottes-
geißeln glichen sie Beide in dem schändlichen Mißbrauch ihrer ver-
liehenen Macht. Beiden fiel freilich auch dasselbe Loos der Ver-
achtung zu, des Abscheu's aller Zeiten, deren düstere Schatten schon
dem Ende ihrer Lebenstage schwebten.

Scenen voll vernichtender Schrecken finden sich in diesem Ketzer-
ausrottungswerk der blutigen Maria; denn Eifer und Haß wuchsen,
je weniger ihre infernalischen Mittel Früchte trugen. Die zum Tode
verurtheilten Protestanten starben glaubensfest und heiter den furcht-
baren Flammentod, mit der gleichen Freudigkeit, wie die ersten Christen
unter der Heidenverfolgung, und die zurückgebliebenen Glaubens-
genossen stärkten sich durch der Märtyrer Beispiel zum treuen Fest-
halten an ihrem Glauben. Siegreich richteten sich die gestählten
Geister empor über die Gewalt, welche nur an das Fleisch konnte,
aber keine Macht über die Seelen hatte.

Alle Grausamkeit, die nicht Alter noch Geschlecht achtete, wurde
nutzlos verschwendet und grub sich nur mit blutigen Ziffern in die
Blätter der Weltgeschichte ein, die darüber zu Gericht sitzt. Geistliche,
Frauen, ja selbst Kinder mußten den Flammentod erleiden. Ein Ver-
dacht, eine freie Vertheidigung, eine Weigerung in die Messe zu
gehen oder einen katholischen Artikel zu unterzeichnen, brachte un-
weigerlich den Tod; eben so verfiel Jeder dem Henker, bei dem ketze-
rische Bücher und Schriften vorgefunden wurden.

Herzzerreißende Scenen spielten vor und auf den Scheiterhaufen.

Eine Frau gebar, während sie den Flammentod erlitt, und die
noch nicht entmenschten Wachen wollten das Kind retten. Aber die
katholischen Ketzerrichter ließen auch das unschuldige Wesen wieder in
die Flammen werfen; es sei mit der Mutter zugleich verurtheilt
worden.

Zwei ehrwürdige Protestantengreise, die Bischöfe Ridley von Lon-
don und Latimer zu Worcester, wurden ebenfalls zum Scheiterhaufen
verurtheilt. Beide waren durch Gelehrsamkeit, Scharfsinn und Fröm-
migkeit hervorragend, der achtzigjährige Latimer aber zeichnete sich
noch durch strenge Einfalt der Sitten aus, so daß selbst die Großen
des Reiches seine freimüthigen Verweise fürchteten.

Als dieser achtzigjährige Greis an Ridley's Seite den Holzstoß
bestieg und derselbe ihm niedergedrückten Sinnes erschien, da tröstete
er ihn mit den prophetischen Worten: „Sei getrost, Bruder! Wir
werden heut eine solche Fackel in England anzünden, die, wie ich zu
Gott hoffe, niemals auslöschen soll!“

Und das prophetische Wort des Greises behielt Recht. Jmmer
erbitterter wurde das Volk gegen die blutige Königin, immer lauter
[Spaltenumbruch] ertönte der Wunsch, daß Gottes Arm die Grausame ereilen möge —
und über ihrem verachteten Grabe erhob sich der Bau der protestan-
tischen Lehre, den sie spurlos hatte austilgen wollen, zu unerschütter-
licher Festigkeit.

Ein anderer protestantischer Geistlicher, dem noch auf dem Holz-
stoß Gnade angeboten wurde, wenn er seinen Glauben abschwören
wolle, umarmte statt der Antwort den Pfahl und rief: „Willkommen,
Kreuz Christi! Willkommen, ewiges Leben!“

So wetteiferten hier Grausamkeit und Fanatismus mit der
Standhaftigkeit und Glaubenstreue; aber der Geist trug triumphi-
rend den Sieg davon über die Kleinlichkeiten der Erde.

Ein alter armer Fischer hatte es sich vom Munde abgedarbt, daß
sein Sohn lesen lernte und ihm nun die heilige Schrift vorlesen
konnte. Die geistliche Behörde witterte es aus; der Prozeß wurde
anhängig gemacht, und der alte Mann bestieg den Scheiterhaufen.

Aber immer noch lebte der Königin Todfeind, er, den sie am
am bittersten haßte, der Bischof Cranmer. Er war der vorzüglichste
Hort der Protestanten, ja der eigentliche Stifter des Protestantismus
in England. Er war es aber auch, der die erste Ehescheidung Hein-
richs VIII. von Maria's Mutter, die England von dem Papst los-
riß, gut geheißen und befördert und die katholische Maria selbst von
der Thronfolge ausgeschlossen hatte. Diesen Greis traf Maria's
unauslöschlicher Haß; jetzt, nachdem so viele Schrecken geschehen waren
und das Volk an den fast nie verlöschenden Scheiterhaufen sich ge-
wöhnt hatte, hielt sie die Zeit für günstig, auch den mächtigsten
Strebepfeiler der Protestantenkirche zu vernichten.

Bereits seit drei Jahren lag Cranmer, seiner Würden beraubt, im
Kerker, und war dabei so schwach geworden und gebrochen, daß er
endlich den nie endenden Zureden der katholischen Pfaffen nachgab und
eine Schrift unterschrieb, durch welche er die Oberherrschaft des
Papstes und die von demselben vorgeschriebenen Lehrsätze anerkannte.

Maria triumphirte über diesen endlichen Sieg, aber ihre Rachsucht
befriedigte er noch nicht. Die Teufelin verfügte, daß der Greis den-
noch brennen solle. Aber zuvor sollte er, um den Sieg zu vervoll-
ständigen, im Glauben an das Leben, das ihm sein Widerruf ge-
rettet habe, in einer Kirche zu Oxford vor den Lords und dem Volk
seine Bekehrung öffentlich bekennen — und dann den Flammentod
erleiden.

Der Greis wurde herbeigeführt; allein plötzlich richtete sich der
Gebrochene mit Jünglingskraft und Verklärung in den edlen Zügen
empor und erklärte, daß nur die Todesfurcht ihn einen Augenblick
überwältigt habe, seinen Glauben zu verleugnen, von dem er über-
zeugt sei, daß er von Gott stamme. Feierlich widerrief er die von
ihm unterzeichnete Bekehrungsschrift und schloß, daß diese rechte Hand,
welche sein Herz verrathen habe, auch vorzüglich gestraft werden
müsse. Und als er gleich darnach den Holzstoß bestieg, da vollzog er
selbst diese Strafe. Er streckte die Hand, mit welcher er das falsche
Bekenntniß unterschrieben hatte, so lange in die lodernden Flammen,
bis sie völlig von denselben verzehrt war, und rief dabei mehrmals
laut aus: „Diese nichtswürdige Hand hat gesündigt!“ So sehr war
er von der Reue über seinen begangenen Fehler erfüllt, daß er die
Martern des Leibes nicht zu fühlen schien, und standhaft starb zur
Sühne für die früher begangene Schwäche.

So war der blutigen Maria auch hier, wie überall, kein Sieg,
keine Genugthuung beschieden. Gedemüthigt stand sie mit all' ihrer
Macht und Grausamkeit vor der Macht der Geister, an die sie nicht
heranreichte. Jhr Unmuth, ihr unversöhnlicher Groll stieg; sie haßte
das Volk, welches sie wieder haßte, verzehrte sich innerlich an dem Haß
und der Schmach, welche die Niederlagen im eigenen Lande, wie
gegen Frankreich, ihr bereiteten, und einsam welkte sie dem Grabe
entgegen, denn Philipp hatte sie verlassen und kämpfte gegen Frank-
reich; er hatte sie stets nur mit kalter Gleichgültigkeit behandelt, die
Ehe blieb kinderlos, und er kehrte nicht wieder zu ihr zurück.

Jm Jahre 1558 erlebte sie dann die Schmach, daß Calais ver-
loren ging. Das laute Murren des Volkes, welches für diesen un-
sinnigen Krieg auf die härteste und gesetzwidrigste Weise ausgepreßt
wurde, vermehrte ihre innerlich am Lebensmark zehrende Wuth, an
der sie bald darauf, noch in demselben Jahre, an einem hitzigen
Fieber starb.

Noch in ihren letzten Lebenstagen war sie damit umgegangen,
ihre protestantische Stiefschwester Elisabeth, die vorsichtig und nur für
ihre Studien in stiller Abgeschiedenheit lebte, trotzdem aber das Miß-
trauen der Königin und ihren Haß gegen eine protestantische Nach-
folgerin stets wach erhielt, enthaupten zu lassen. Nur Philipps II.
entschiedener Widerspruch rettete die Prinzessin; denn wenn Elisabeth
todt war, so wurde Maria Stuart von Schottland Thronerbin von
England, die sich so eben mit dem französischen Dauphin vermählt hatte.
Sie hätte dann die Kronen von Frankreich, England und Schottland
auf ihrem Haupt vereinigt — das furchtbarste Schreckgespenst für den
finstern Spanier.

So blieb Elisabeth am Leben und stieg, über die Leiche Maria's,
[Ende Spaltensatz]

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0004" n="164"/>
      <fw type="pageNum" place="top">164</fw>
      <cb type="start"/>
      <div xml:id="Maria2" type="jArticle" n="1">
        <head> <hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Die blutige Marie</hi>.</hi><lb/>
          <ref target="nn_sonntagsblatt20_1868#Maria1">( Schluß. )</ref>
        </head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">D</hi>och damit war dem Fanatismus der Königin noch lange nicht<lb/>
genug gethan. Mit Feuer und Schwert wollte sie ihr Rück-<lb/>
bekehrungswerk vollziehen und jedes widerspenstige Element ver-<lb/>
nichten Dazu aber mußte sie sich noch durch auswärtige Ver-<lb/>
bindungen stärken, um im Nothfall einen Schutz gegen das eigene<lb/>
Volk in denselben zu finden. So reichte sie dem Könige von Spa-<lb/>
nien, dem ihr fast unheimlich gleichgestimmten Philipp <hi rendition="#aq">II</hi>., die Hand<lb/>
zum Ehebund. Diese Verbindung erzeugte zugleich das politische<lb/>
Bündniß Englands mit Spanien gegen Frankreich; doch war der<lb/>
daraus entspringende Krieg gegen Frankreich ein so unglücklicher, daß<lb/>
England auch den letzten Rest seiner einstigen Eroberungen in Frank-<lb/>
reich, denen Johanna d'Arc ein Ziel setzte, die Stadt Calais, verlor.<lb/>
Dieser Verlust kränkte die Königin zwar so tief, daß sie ihn nie über-<lb/>
wand und oft versicherte, man würde nach ihrem Tode den Namen<lb/>
&#x201E;Calais&#x201C; in ihrem Herzen finden, allein er änderte nichts an ihrem<lb/>
harten Sinn; nur noch grausamer und blutdürstiger machte sie das<lb/>
Unglück. Den Groll, welchen sie an Frankreich nicht auslassen konnte,<lb/>
wandte sie in ganzer Fülle ihren ketzerischen Unterthanen zu.</p><lb/>
        <p>Bald waren die Prozesse im Gange; die Jnquisition in ihrer<lb/>
ernstesten Gestalt, nur ohne ihren Namen, und die Scheiterhaufen<lb/>
flammten auf, um zur Ehre Gottes die Ketzerleiber in Asche zu ver-<lb/>
wandeln, welche der Wind spurlos verwehte, wie ihren Glauben spurlos<lb/>
anszurotten der grausame Wille der blutigen Königin war.</p><lb/>
        <p>Jn drei Jahren, einer kurzen Spanne Zeit für so viele Schrecken,<lb/>
bestiegen 277 Personen den Scheiterhaufen und wurden auf Befehl<lb/>
der Königin lebendig verbrannt, auch wohl an einem langsamen<lb/>
Feuer nach und nach verzehrt.</p><lb/>
        <p>Die katholische Kirche, d. i. ihre Priester, hatten eine meisterliche<lb/>
Virtuosität darin erlangt, der Hölle ihre Schrecken abzulauschen, und<lb/>
ihre Kunst in solchen infernalen Erfindungen wurde nur noch von der<lb/>
unmenschlichen, gefühllosen Grausamkeit übertroffen, mit welcher sie<lb/>
dieselben zur Ausführung brachten.</p><lb/>
        <p>Maria, die Blutige, wetteiferte mit ihrem Gemahl, dem finstern<lb/>
Philipp, um den Preis der Schrecken; ihre Werke in England dürfen<lb/>
sich vor denen der spanischen Jnquisition nicht scheuen. Gottes-<lb/>
geißeln glichen sie Beide in dem schändlichen Mißbrauch ihrer ver-<lb/>
liehenen Macht. Beiden fiel freilich auch dasselbe Loos der Ver-<lb/>
achtung zu, des Abscheu's aller Zeiten, deren düstere Schatten schon<lb/>
dem Ende ihrer Lebenstage schwebten.</p><lb/>
        <p>Scenen voll vernichtender Schrecken finden sich in diesem Ketzer-<lb/>
ausrottungswerk der blutigen Maria; denn Eifer und Haß wuchsen,<lb/>
je weniger ihre infernalischen Mittel Früchte trugen. Die zum Tode<lb/>
verurtheilten Protestanten starben glaubensfest und heiter den furcht-<lb/>
baren Flammentod, mit der gleichen Freudigkeit, wie die ersten Christen<lb/>
unter der Heidenverfolgung, und die zurückgebliebenen Glaubens-<lb/>
genossen stärkten sich durch der Märtyrer Beispiel zum treuen Fest-<lb/>
halten an ihrem Glauben. Siegreich richteten sich die gestählten<lb/>
Geister empor über die Gewalt, welche nur an das Fleisch konnte,<lb/>
aber keine Macht über die Seelen hatte.</p><lb/>
        <p>Alle Grausamkeit, die nicht Alter noch Geschlecht achtete, wurde<lb/>
nutzlos verschwendet und grub sich nur mit blutigen Ziffern in die<lb/>
Blätter der Weltgeschichte ein, die darüber zu Gericht sitzt. Geistliche,<lb/>
Frauen, ja selbst Kinder mußten den Flammentod erleiden. Ein Ver-<lb/>
dacht, eine freie Vertheidigung, eine Weigerung in die Messe zu<lb/>
gehen oder einen katholischen Artikel zu unterzeichnen, brachte un-<lb/>
weigerlich den Tod; eben so verfiel Jeder dem Henker, bei dem ketze-<lb/>
rische Bücher und Schriften vorgefunden wurden.</p><lb/>
        <p>Herzzerreißende Scenen spielten vor und auf den Scheiterhaufen.</p><lb/>
        <p>Eine Frau gebar, während sie den Flammentod erlitt, und die<lb/>
noch nicht entmenschten Wachen wollten das Kind retten. Aber die<lb/>
katholischen Ketzerrichter ließen auch das unschuldige Wesen wieder in<lb/>
die Flammen werfen; es sei mit der Mutter zugleich verurtheilt<lb/>
worden.</p><lb/>
        <p>Zwei ehrwürdige Protestantengreise, die Bischöfe Ridley von Lon-<lb/>
don und Latimer zu Worcester, wurden ebenfalls zum Scheiterhaufen<lb/>
verurtheilt. Beide waren durch Gelehrsamkeit, Scharfsinn und Fröm-<lb/>
migkeit hervorragend, der achtzigjährige Latimer aber zeichnete sich<lb/>
noch durch strenge Einfalt der Sitten aus, so daß selbst die Großen<lb/>
des Reiches seine freimüthigen Verweise fürchteten.</p><lb/>
        <p>Als dieser achtzigjährige Greis an Ridley's Seite den Holzstoß<lb/>
bestieg und derselbe ihm niedergedrückten Sinnes erschien, da tröstete<lb/>
er ihn mit den prophetischen Worten: &#x201E;Sei getrost, Bruder! Wir<lb/>
werden heut eine solche Fackel in England anzünden, die, wie ich zu<lb/>
Gott hoffe, niemals auslöschen soll!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Und das prophetische Wort des Greises behielt Recht. Jmmer<lb/>
erbitterter wurde das Volk gegen die blutige Königin, immer lauter<lb/><cb n="2"/>
ertönte der Wunsch, daß Gottes Arm die Grausame ereilen möge &#x2014;<lb/>
und über ihrem verachteten Grabe erhob sich der Bau der protestan-<lb/>
tischen Lehre, den sie spurlos hatte austilgen wollen, zu unerschütter-<lb/>
licher Festigkeit.</p><lb/>
        <p>Ein anderer protestantischer Geistlicher, dem noch auf dem Holz-<lb/>
stoß Gnade angeboten wurde, wenn er seinen Glauben abschwören<lb/>
wolle, umarmte statt der Antwort den Pfahl und rief: &#x201E;Willkommen,<lb/>
Kreuz Christi! Willkommen, ewiges Leben!&#x201C;</p><lb/>
        <p>So wetteiferten hier Grausamkeit und Fanatismus mit der<lb/>
Standhaftigkeit und Glaubenstreue; aber der Geist trug triumphi-<lb/>
rend den Sieg davon über die Kleinlichkeiten der Erde.</p><lb/>
        <p>Ein alter armer Fischer hatte es sich vom Munde abgedarbt, daß<lb/>
sein Sohn lesen lernte und ihm nun die heilige Schrift vorlesen<lb/>
konnte. Die geistliche Behörde witterte es aus; der Prozeß wurde<lb/>
anhängig gemacht, und der alte Mann bestieg den Scheiterhaufen.</p><lb/>
        <p>Aber immer noch lebte der Königin Todfeind, er, den sie am<lb/>
am bittersten haßte, der Bischof Cranmer. Er war der vorzüglichste<lb/>
Hort der Protestanten, ja der eigentliche Stifter des Protestantismus<lb/>
in England. Er war es aber auch, der die erste Ehescheidung Hein-<lb/>
richs <hi rendition="#aq">VIII</hi>. von Maria's Mutter, die England von dem Papst los-<lb/>
riß, gut geheißen und befördert und die katholische Maria selbst von<lb/>
der Thronfolge ausgeschlossen hatte. Diesen Greis traf Maria's<lb/>
unauslöschlicher Haß; jetzt, nachdem so viele Schrecken geschehen waren<lb/>
und das Volk an den fast nie verlöschenden Scheiterhaufen sich ge-<lb/>
wöhnt hatte, hielt sie die Zeit für günstig, auch den mächtigsten<lb/>
Strebepfeiler der Protestantenkirche zu vernichten.</p><lb/>
        <p>Bereits seit drei Jahren lag Cranmer, seiner Würden beraubt, im<lb/>
Kerker, und war dabei so schwach geworden und gebrochen, daß er<lb/>
endlich den nie endenden Zureden der katholischen Pfaffen nachgab und<lb/>
eine Schrift unterschrieb, durch welche er die Oberherrschaft des<lb/>
Papstes und die von demselben vorgeschriebenen Lehrsätze anerkannte.</p><lb/>
        <p>Maria triumphirte über diesen endlichen Sieg, aber ihre Rachsucht<lb/>
befriedigte er noch nicht. Die Teufelin verfügte, daß der Greis den-<lb/>
noch brennen solle. Aber zuvor sollte er, um den Sieg zu vervoll-<lb/>
ständigen, im Glauben an das Leben, das ihm sein Widerruf ge-<lb/>
rettet habe, in einer Kirche zu Oxford vor den Lords und dem Volk<lb/>
seine Bekehrung öffentlich bekennen &#x2014; und dann den Flammentod<lb/>
erleiden.</p><lb/>
        <p>Der Greis wurde herbeigeführt; allein plötzlich richtete sich der<lb/>
Gebrochene mit Jünglingskraft und Verklärung in den edlen Zügen<lb/>
empor und erklärte, daß nur die Todesfurcht ihn einen Augenblick<lb/>
überwältigt habe, seinen Glauben zu verleugnen, von dem er über-<lb/>
zeugt sei, daß er von Gott stamme. Feierlich widerrief er die von<lb/>
ihm unterzeichnete Bekehrungsschrift und schloß, daß diese rechte Hand,<lb/>
welche sein Herz verrathen habe, auch vorzüglich gestraft werden<lb/>
müsse. Und als er gleich darnach den Holzstoß bestieg, da vollzog er<lb/>
selbst diese Strafe. Er streckte die Hand, mit welcher er das falsche<lb/>
Bekenntniß unterschrieben hatte, so lange in die lodernden Flammen,<lb/>
bis sie völlig von denselben verzehrt war, und rief dabei mehrmals<lb/>
laut aus: &#x201E;Diese nichtswürdige Hand hat gesündigt!&#x201C; So sehr war<lb/>
er von der Reue über seinen begangenen Fehler erfüllt, daß er die<lb/>
Martern des Leibes nicht zu fühlen schien, und standhaft starb zur<lb/>
Sühne für die früher begangene Schwäche.</p><lb/>
        <p>So war der blutigen Maria auch hier, wie überall, kein Sieg,<lb/>
keine Genugthuung beschieden. Gedemüthigt stand sie mit all' ihrer<lb/>
Macht und Grausamkeit vor der Macht der Geister, an die sie nicht<lb/>
heranreichte. Jhr Unmuth, ihr unversöhnlicher Groll stieg; sie haßte<lb/>
das Volk, welches sie wieder haßte, verzehrte sich innerlich an dem Haß<lb/>
und der Schmach, welche die Niederlagen im eigenen Lande, wie<lb/>
gegen Frankreich, ihr bereiteten, und einsam welkte sie dem Grabe<lb/>
entgegen, denn Philipp hatte sie verlassen und kämpfte gegen Frank-<lb/>
reich; er hatte sie stets nur mit kalter Gleichgültigkeit behandelt, die<lb/>
Ehe blieb kinderlos, und er kehrte nicht wieder zu ihr zurück.</p><lb/>
        <p>Jm Jahre 1558 erlebte sie dann die Schmach, daß Calais ver-<lb/>
loren ging. Das laute Murren des Volkes, welches für diesen un-<lb/>
sinnigen Krieg auf die härteste und gesetzwidrigste Weise ausgepreßt<lb/>
wurde, vermehrte ihre innerlich am Lebensmark zehrende Wuth, an<lb/>
der sie bald darauf, noch in demselben Jahre, an einem hitzigen<lb/>
Fieber starb.</p><lb/>
        <p>Noch in ihren letzten Lebenstagen war sie damit umgegangen,<lb/>
ihre protestantische Stiefschwester Elisabeth, die vorsichtig und nur für<lb/>
ihre Studien in stiller Abgeschiedenheit lebte, trotzdem aber das Miß-<lb/>
trauen der Königin und ihren Haß gegen eine protestantische Nach-<lb/>
folgerin stets wach erhielt, enthaupten zu lassen. Nur Philipps <hi rendition="#aq">II.</hi><lb/>
entschiedener Widerspruch rettete die Prinzessin; denn wenn Elisabeth<lb/>
todt war, so wurde Maria Stuart von Schottland Thronerbin von<lb/>
England, die sich so eben mit dem französischen Dauphin vermählt hatte.<lb/>
Sie hätte dann die Kronen von Frankreich, England und Schottland<lb/>
auf ihrem Haupt vereinigt &#x2014; das furchtbarste Schreckgespenst für den<lb/>
finstern Spanier.</p><lb/>
        <p>So blieb Elisabeth am Leben und stieg, über die Leiche Maria's,<lb/><cb type="end"/>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[164/0004] 164 Die blutige Marie. ( Schluß. ) Doch damit war dem Fanatismus der Königin noch lange nicht genug gethan. Mit Feuer und Schwert wollte sie ihr Rück- bekehrungswerk vollziehen und jedes widerspenstige Element ver- nichten Dazu aber mußte sie sich noch durch auswärtige Ver- bindungen stärken, um im Nothfall einen Schutz gegen das eigene Volk in denselben zu finden. So reichte sie dem Könige von Spa- nien, dem ihr fast unheimlich gleichgestimmten Philipp II., die Hand zum Ehebund. Diese Verbindung erzeugte zugleich das politische Bündniß Englands mit Spanien gegen Frankreich; doch war der daraus entspringende Krieg gegen Frankreich ein so unglücklicher, daß England auch den letzten Rest seiner einstigen Eroberungen in Frank- reich, denen Johanna d'Arc ein Ziel setzte, die Stadt Calais, verlor. Dieser Verlust kränkte die Königin zwar so tief, daß sie ihn nie über- wand und oft versicherte, man würde nach ihrem Tode den Namen „Calais“ in ihrem Herzen finden, allein er änderte nichts an ihrem harten Sinn; nur noch grausamer und blutdürstiger machte sie das Unglück. Den Groll, welchen sie an Frankreich nicht auslassen konnte, wandte sie in ganzer Fülle ihren ketzerischen Unterthanen zu. Bald waren die Prozesse im Gange; die Jnquisition in ihrer ernstesten Gestalt, nur ohne ihren Namen, und die Scheiterhaufen flammten auf, um zur Ehre Gottes die Ketzerleiber in Asche zu ver- wandeln, welche der Wind spurlos verwehte, wie ihren Glauben spurlos anszurotten der grausame Wille der blutigen Königin war. Jn drei Jahren, einer kurzen Spanne Zeit für so viele Schrecken, bestiegen 277 Personen den Scheiterhaufen und wurden auf Befehl der Königin lebendig verbrannt, auch wohl an einem langsamen Feuer nach und nach verzehrt. Die katholische Kirche, d. i. ihre Priester, hatten eine meisterliche Virtuosität darin erlangt, der Hölle ihre Schrecken abzulauschen, und ihre Kunst in solchen infernalen Erfindungen wurde nur noch von der unmenschlichen, gefühllosen Grausamkeit übertroffen, mit welcher sie dieselben zur Ausführung brachten. Maria, die Blutige, wetteiferte mit ihrem Gemahl, dem finstern Philipp, um den Preis der Schrecken; ihre Werke in England dürfen sich vor denen der spanischen Jnquisition nicht scheuen. Gottes- geißeln glichen sie Beide in dem schändlichen Mißbrauch ihrer ver- liehenen Macht. Beiden fiel freilich auch dasselbe Loos der Ver- achtung zu, des Abscheu's aller Zeiten, deren düstere Schatten schon dem Ende ihrer Lebenstage schwebten. Scenen voll vernichtender Schrecken finden sich in diesem Ketzer- ausrottungswerk der blutigen Maria; denn Eifer und Haß wuchsen, je weniger ihre infernalischen Mittel Früchte trugen. Die zum Tode verurtheilten Protestanten starben glaubensfest und heiter den furcht- baren Flammentod, mit der gleichen Freudigkeit, wie die ersten Christen unter der Heidenverfolgung, und die zurückgebliebenen Glaubens- genossen stärkten sich durch der Märtyrer Beispiel zum treuen Fest- halten an ihrem Glauben. Siegreich richteten sich die gestählten Geister empor über die Gewalt, welche nur an das Fleisch konnte, aber keine Macht über die Seelen hatte. Alle Grausamkeit, die nicht Alter noch Geschlecht achtete, wurde nutzlos verschwendet und grub sich nur mit blutigen Ziffern in die Blätter der Weltgeschichte ein, die darüber zu Gericht sitzt. Geistliche, Frauen, ja selbst Kinder mußten den Flammentod erleiden. Ein Ver- dacht, eine freie Vertheidigung, eine Weigerung in die Messe zu gehen oder einen katholischen Artikel zu unterzeichnen, brachte un- weigerlich den Tod; eben so verfiel Jeder dem Henker, bei dem ketze- rische Bücher und Schriften vorgefunden wurden. Herzzerreißende Scenen spielten vor und auf den Scheiterhaufen. Eine Frau gebar, während sie den Flammentod erlitt, und die noch nicht entmenschten Wachen wollten das Kind retten. Aber die katholischen Ketzerrichter ließen auch das unschuldige Wesen wieder in die Flammen werfen; es sei mit der Mutter zugleich verurtheilt worden. Zwei ehrwürdige Protestantengreise, die Bischöfe Ridley von Lon- don und Latimer zu Worcester, wurden ebenfalls zum Scheiterhaufen verurtheilt. Beide waren durch Gelehrsamkeit, Scharfsinn und Fröm- migkeit hervorragend, der achtzigjährige Latimer aber zeichnete sich noch durch strenge Einfalt der Sitten aus, so daß selbst die Großen des Reiches seine freimüthigen Verweise fürchteten. Als dieser achtzigjährige Greis an Ridley's Seite den Holzstoß bestieg und derselbe ihm niedergedrückten Sinnes erschien, da tröstete er ihn mit den prophetischen Worten: „Sei getrost, Bruder! Wir werden heut eine solche Fackel in England anzünden, die, wie ich zu Gott hoffe, niemals auslöschen soll!“ Und das prophetische Wort des Greises behielt Recht. Jmmer erbitterter wurde das Volk gegen die blutige Königin, immer lauter ertönte der Wunsch, daß Gottes Arm die Grausame ereilen möge — und über ihrem verachteten Grabe erhob sich der Bau der protestan- tischen Lehre, den sie spurlos hatte austilgen wollen, zu unerschütter- licher Festigkeit. Ein anderer protestantischer Geistlicher, dem noch auf dem Holz- stoß Gnade angeboten wurde, wenn er seinen Glauben abschwören wolle, umarmte statt der Antwort den Pfahl und rief: „Willkommen, Kreuz Christi! Willkommen, ewiges Leben!“ So wetteiferten hier Grausamkeit und Fanatismus mit der Standhaftigkeit und Glaubenstreue; aber der Geist trug triumphi- rend den Sieg davon über die Kleinlichkeiten der Erde. Ein alter armer Fischer hatte es sich vom Munde abgedarbt, daß sein Sohn lesen lernte und ihm nun die heilige Schrift vorlesen konnte. Die geistliche Behörde witterte es aus; der Prozeß wurde anhängig gemacht, und der alte Mann bestieg den Scheiterhaufen. Aber immer noch lebte der Königin Todfeind, er, den sie am am bittersten haßte, der Bischof Cranmer. Er war der vorzüglichste Hort der Protestanten, ja der eigentliche Stifter des Protestantismus in England. Er war es aber auch, der die erste Ehescheidung Hein- richs VIII. von Maria's Mutter, die England von dem Papst los- riß, gut geheißen und befördert und die katholische Maria selbst von der Thronfolge ausgeschlossen hatte. Diesen Greis traf Maria's unauslöschlicher Haß; jetzt, nachdem so viele Schrecken geschehen waren und das Volk an den fast nie verlöschenden Scheiterhaufen sich ge- wöhnt hatte, hielt sie die Zeit für günstig, auch den mächtigsten Strebepfeiler der Protestantenkirche zu vernichten. Bereits seit drei Jahren lag Cranmer, seiner Würden beraubt, im Kerker, und war dabei so schwach geworden und gebrochen, daß er endlich den nie endenden Zureden der katholischen Pfaffen nachgab und eine Schrift unterschrieb, durch welche er die Oberherrschaft des Papstes und die von demselben vorgeschriebenen Lehrsätze anerkannte. Maria triumphirte über diesen endlichen Sieg, aber ihre Rachsucht befriedigte er noch nicht. Die Teufelin verfügte, daß der Greis den- noch brennen solle. Aber zuvor sollte er, um den Sieg zu vervoll- ständigen, im Glauben an das Leben, das ihm sein Widerruf ge- rettet habe, in einer Kirche zu Oxford vor den Lords und dem Volk seine Bekehrung öffentlich bekennen — und dann den Flammentod erleiden. Der Greis wurde herbeigeführt; allein plötzlich richtete sich der Gebrochene mit Jünglingskraft und Verklärung in den edlen Zügen empor und erklärte, daß nur die Todesfurcht ihn einen Augenblick überwältigt habe, seinen Glauben zu verleugnen, von dem er über- zeugt sei, daß er von Gott stamme. Feierlich widerrief er die von ihm unterzeichnete Bekehrungsschrift und schloß, daß diese rechte Hand, welche sein Herz verrathen habe, auch vorzüglich gestraft werden müsse. Und als er gleich darnach den Holzstoß bestieg, da vollzog er selbst diese Strafe. Er streckte die Hand, mit welcher er das falsche Bekenntniß unterschrieben hatte, so lange in die lodernden Flammen, bis sie völlig von denselben verzehrt war, und rief dabei mehrmals laut aus: „Diese nichtswürdige Hand hat gesündigt!“ So sehr war er von der Reue über seinen begangenen Fehler erfüllt, daß er die Martern des Leibes nicht zu fühlen schien, und standhaft starb zur Sühne für die früher begangene Schwäche. So war der blutigen Maria auch hier, wie überall, kein Sieg, keine Genugthuung beschieden. Gedemüthigt stand sie mit all' ihrer Macht und Grausamkeit vor der Macht der Geister, an die sie nicht heranreichte. Jhr Unmuth, ihr unversöhnlicher Groll stieg; sie haßte das Volk, welches sie wieder haßte, verzehrte sich innerlich an dem Haß und der Schmach, welche die Niederlagen im eigenen Lande, wie gegen Frankreich, ihr bereiteten, und einsam welkte sie dem Grabe entgegen, denn Philipp hatte sie verlassen und kämpfte gegen Frank- reich; er hatte sie stets nur mit kalter Gleichgültigkeit behandelt, die Ehe blieb kinderlos, und er kehrte nicht wieder zu ihr zurück. Jm Jahre 1558 erlebte sie dann die Schmach, daß Calais ver- loren ging. Das laute Murren des Volkes, welches für diesen un- sinnigen Krieg auf die härteste und gesetzwidrigste Weise ausgepreßt wurde, vermehrte ihre innerlich am Lebensmark zehrende Wuth, an der sie bald darauf, noch in demselben Jahre, an einem hitzigen Fieber starb. Noch in ihren letzten Lebenstagen war sie damit umgegangen, ihre protestantische Stiefschwester Elisabeth, die vorsichtig und nur für ihre Studien in stiller Abgeschiedenheit lebte, trotzdem aber das Miß- trauen der Königin und ihren Haß gegen eine protestantische Nach- folgerin stets wach erhielt, enthaupten zu lassen. Nur Philipps II. entschiedener Widerspruch rettete die Prinzessin; denn wenn Elisabeth todt war, so wurde Maria Stuart von Schottland Thronerbin von England, die sich so eben mit dem französischen Dauphin vermählt hatte. Sie hätte dann die Kronen von Frankreich, England und Schottland auf ihrem Haupt vereinigt — das furchtbarste Schreckgespenst für den finstern Spanier. So blieb Elisabeth am Leben und stieg, über die Leiche Maria's,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt21_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt21_1868/4
Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 21. Berlin, 24. Mai 1868, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt21_1868/4>, abgerufen am 01.06.2024.