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Sonntags-Blatt. Nr. 24. Berlin, 14. Juni 1868.

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[Beginn Spaltensatz] eine Sache. Hier, in meiner Vaterstadt, lernte ich, einige zwanzig
Jahre alt, ein Mädchen kennen, welches mich durch ihre Liebens-
würdigkeit gänzlich fesselte. Jch suchte mich ihr zu nähern, ich gestand
ihr schüchtern meine Ergebenheit, und ihr freundlicher Blick sagte mir
offen genug, daß sie mich nicht zurückweise. Es war nur einige
Male, daß ich sie ungestört sprechen konnte, und dennoch war ich
glücklich und dachte nur daran, dies Verhältniß zu einem bindenden
zu machen. Jch war damals im Geschäft meines Vaters. Jch
durfte nicht daran zweifeln, daß er in diese Verbindung einwilligen
würde, da das Mädchen einer angesehenen Familie angehörte. Eine
Reise, welche ich für das Geschäft zu machen hatte, sollte, wie ich
wähnte, meinem Glück nicht hinderlich sein. Jn einem Briefe,
welchen ich an das Mädchen schrieb, erklärte ich mich rückhaltlos und
versprach ihr, mich nach meiner Rückkehr um ihre Hand zu bewerben.
Länger, als ich gedacht hatte, blieb ich weg. Als ich zurück kam,
war das Mädchen verheirathet. Mein Brief hatte, wie ich freilich
erst um vieles später erfuhr, diese schnelle Heirath veranlaßt. Die
Familie des Mädchens war einem Berliner Geschäftshause stark ver-
pflichtet; sie suchte mit diesem in freundschaftlichen Beziehungen zu
stehen und hatte schon längst das Mädchen dem Sohn des Hauses,
welcher sie gesehen und Neigung zu ihr gefaßt hatte, versprochen.
Damals gerade, als mein Brief eingetroffen war, wurde dieser Be-
schluß auch dem Mädchen eröffnet; sie weigerte sich und zeigte
meinen Brief, indem sie darin einen Schutz für sich erblickte. Jhre
Weigerung blieb nutzlos; die Familie drang um so mehr in sie, je
mehr Gefahr für ihren Plan bei meiner Rückkehr vorauszusehen war.
Das Wohl und Wehe der Familie ward als von ihrer Entscheidung
abhängig bezeichnet, und -- sie gab nach.

Ungefähr ein halbes Jahr später kam auch ich nach Berlin, um
dort in ein großes Bankgeschäft einzutreten. Von jenen Umständen,
welche ich eben erwähnte, war mir noch nichts bekannt, und so war
es natürlich, daß ich beschloß, mich durchaus von jener Frau fern zu
halten, welche mich elender gemacht hatte, als ich mir selbst zugestehen
wollte. Das geschäftige Treiben der großen Stadt machte mir An-
fangs die Sache leicht; aber obgleich ich angestrengt meinen Pflichten
oblag und andererseits die Vergnügungen der großen Stadt begierig
aufsuchte, immer lag der Alp jener unglücklichen Neigung auf mir.
Nicht lange Zeit währte es, da begegnete ich ihr an öffentlichen
Vergnügungsorten und traf zusammen mit ihr in Familienkreisen.
Wir traten uns als Fremde gegenüber; ich versuchte keine Annäherung.
Aber ihr Gemahl, welcher nichts von jenem früheren Verhältniß ahnte
und eben so wenig -- ich glaube, bis zum gestrigen Tage -- wußte,
daß ich aus derselben Stadt wie seine Frau stamme, drängte sich an
mich, schickte mir Einladungen, und da ich sie nicht annahm, über-
häufte er mich mit Vorwürfen. Gerade weil ich ihr kalt gegenüber-
trat und seine Frau nicht, wie die Anderen, zu bewundern schien,
glaubte er, mich gewinnen zu müssen, und suchte alle Gründe auf,
meine Abneigung gegen ihn, wie er meinte, zu beseitigen. So zwang
er mich fast, eine seiner Gesellschaften zu besuchen, und so stand
ich ihr wieder gegenüber. Was sie selbst damals auch empfinden
mochte, wir fanden uns beiderseits in die Rolle, welche die Pflicht
uns auferlegte. Mir aber wurde nun erst klar, welches Verhältniß
zwischen ihr und ihrem Gemahl bestand. Er war noch ziemlich jung;
aber aufgewachsen unter jener Jugend, welche begierig nach jedem
Vergnügen hascht und sich selbst als den Mittelpunkt jedweder Be-
[Spaltenumbruch] wegung betrachtet, war er hohl und flach, ein blasirter Geck mit ver-
goldeter Außenseite. Seine Frau war schön, und ihre Schönheit
schmeichelte der Eigenliebe des Thoren. Um sie zu zeigen, schleppte
er seine Frau von einem schalen Vergnügen zum andern, und ohne
auf ihr Sträuben zu achten, mußte sie in den Wirbel jenes
gesellschaftlichen Treibens eintreten, welches ihn selbst befriedigte,
mußte sie vor der Welt zu glänzen suchen und in ihrem eigenen
Hause die Huldigungen ihm gleichgesinnter schaler Menschen entgegen-
nehmen. Für ihn gab es kein Leben in der Familie, er hielt es nicht
für der Mühe werth, seiner Frau geistig nahe zu treten, auf ihren
Charakter zu achten; wenn sie nur seine Eitelkeit befriedigte, war ihm
genug geschehen. Sie aber, die schon mit Widerwillen sich ihm hin-
gegeben hatte, wurde, je mehr sie ihren Groll in sich selbst verschließen
mußte, um so herber gestimmt. Jhr sanfter Sinn war aufgestachelt
gegen den Mann, welcher nur das Widerwärtige vor ihre Augen
brachte, und sie dachte um so lieber an eine stille, süße Vergangenheit
zurück. Der Mann, den ich schilderte, war jener Wahnsinnige -- Jhr
habt ihn eben unter anderem Namen und als einen Andern wieder-
gesehen; die Frau war Deine Mutter, Helene. Du weißt jetzt, warum
der Name selbst mir lieb klang; sie hat ja denselben Namen wie Du
getragen. Mein Groll gegen sie schwand dahin; ich fing an, sie zu
bedauern, und damit flammte aufs Neue meine Neigung auf. Ein
Druck ihrer Hand, als ich im Winkel stand und das bunte Treiben
um mich her abzuweisen suchte, griff mir in die Seele; sie ging an
mir mit schmerzbewegten Zügen vorüber. "Helene, arme Frau!"
flüsterte ich, und sie ließ den Kopf sinken. Wenn wir auch Beide
vor einer Annäherung zurückbebten -- sie blieb nicht aus. Helene
offenbarte mir den schrecklichen Kampf ihres Jnnern, und ich sann auf
Rettung für sie. Jch versuchte, sie zur Flucht mit mir zu überreden.
Nach langem Sträuben fand sie sich dazu bereit. Die Mittel dazu
konnte ich mir leicht verschaffen. Jch stellte große Wechsel auf unser
Haus aus und ersuchte meinen Vater, sie einzulösen, indem ich ihm
meinen Entschluß mittheilte, mein Heil in Amerika zu versuchen.
Jenseits des Ozeans wollten wir eine Stätte suchen, wo wir ungestört
einander leben konnten. Jch verheimlichte meinen Plan nicht und
nahm von allen Bekannten Abschied, während Helene sich im Stillen
vorbereitete. Unsere Flucht gelang auf das Beste. Niemand hatte
von unserem Verkehr geahnt und Niemand dachte daran, daß ich
Helene entführt haben könnte. Wir gelangten, ohne angehalten zu
werden, nach New=York und reisten sofort in eine damals kleine Stadt
des Jnnern ab. Dort gründete ich ein Hauswesen und fing ein Ge-
schäft an, welches bald reussirte. Wir galten als Mann und Frau.
Jn glücklichem häuslichem Leben verstrichen einige Jahre. Jch wurde
nicht müde, meine Frau zu bewundern, und sie hing mit einer
unaussprechlichen Sanftmuth und Güte an meinem Herzen. Um mein
Glück vollständig zu machen, gebar sie mir eine Tochter, welcher ich
ihren Namen gab."

Er hielt inne, hob mit der Hand den Kopf Helenens in die
Höhe und sah ihr mit innigem Blick ins Gesicht.

Es folgte während einiger Minuten ein tiefes Schweigen. Nur
Marie rückte unruhig auf dem Stuhl und öffnete halb den Mund;
aber sie zog es doch vor, still zu sein, als sie um sich her die nach-
denklichen Gesichter des Assessors und des Doktors betrachtete.

( Schluß folgt. )

[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz]
Der Untergang der römischen Republik im Jahr 1849.
Von
R. R.

Bald sind es zwanzig Jahre her, daß die jüngste römische Republik pro-
klamirt wurde, welche in einer Weise sich zu befestigen begann, die, gegenüber
der Unzahl feindlicher Kräfte, wahrhaft in Erstaunen setzen muß. Von Jnnen
heraus war sie nicht zu stürzen. Dazu bedurfte es einer fremden Jntervention,
welche das wechselvolle Jahr 1849 bringen sollte. Die dadurch herbei-
geführte Vernichtung des jungen Freistaats entschied auf lange Zeit die
Geschicke Jtaliens. Die Bedeutung dieses Ereignisses an sich, sowie die
Umstände, unter denen es stattfand, noch mehr aber die Beziehungen zur
Gegenwart rechtfertigen wohl eine etwas genauere Schilderung.

Papst Pius IX. rief nach seiner Flucht nach Gaeta alle katholischen
Mächte auf, ihm zu Hülfe zu kommen, und in der That schickten sich auch
Oesterreich, Neapel und Spanien an, die verlangte bewaffnete Jntervention
in den römischen Staaten auszuführen, und die von diesen Seiten kom-
mende Hülfe war dem Kirchenoberhaupt auch die angenehmste. Jn Frank-
reich, der Schwesterrepublik, aber beeilte man sich, allen Anderen zuvor zu
kommen. Hier war unterdessen Ludwig Napoleon zum Präsidenten ge-
wählt worden. Ganz in der Stille rüstete man ein Expeditionskorps
von 15,000 Mann unter General Oudinot aus. Jm letzten Augenblick
verkündete das Ministerium zu Paris der dortigen National=Versammlung,
diese Expedition bezwecke, "den französischen Einfluß in Jtalien aufrecht
zu erhalten und Frankreich auf freundschaftlichem Wege mit dem Willen
[Spaltenumbruch] des römischen Volks bekannt zu machen, welchen Willen, wie immer er
laute, Frankreich sanktioniren wolle."

Am 24. April 1849 langte die Expedition vor Civitavecchia an; der
"Ober=General, Volksrepräsentant" Oudinot, sandte einen Adjutanten,
Eskadron=Chef d'Espivent, an den Gouverneur des Platzes mit der Auf-
forderung, dafür zu sorgen, daß die französischen Truppen so empfangen
würden, "wie es Alliirten gebühre, welche durch so freundschaftliche Ab-
sichten in das Land gerufen werden."

Hierauf antwortete der Gouverneur dem Eskadron=Chef, daß er zufolge
der ihm von Rom zugekommenen Weisung ein Landen französischer Truppen
nicht dulden dürfe. Leider war aber zum Widerstand nichts vorbereitet.
Bei dieser Besprechung unterhielt sich der französische Adjutant mit einigen
herbeigekommenen Munizipalbeamten, und als er dieselben durch allerhand
liberale Redensarten günstig gestimmt zu haben glaubte, brachte er eine
Anzahl gedruckter Proklamationen an die "Bewohner der römischen Staa-
ten " zum Vorschein, worin gesagt war, die Truppensendung geschehe "nicht
um die gegenwärtige, von dem französischen Gouvernement nicht anerkannte
Regierung zu vertheidigen", sondern um "die Herstellung eines Regime zu
erleichtern, gleich weit entfernt von den durch die Großmuth Pius' IX.
für immer zerstörten Mißbräuchen, wie von der Anarchie dieser letzten
Zeiten". Die französische Fahne sei das Banner "des Friedens, der Ord-
nung, der Versöhnung und der Freiheit."

Als in der römischen Nationalversammlung diese Proklamation verlesen
wurde, entstand eine gewaltige Erbitterung. Der Abgeordnete Bonaparte
suchte zu beruhigen, indem er zwar beistimmte, daß man rüsten müsse, doch
aber die Brüderschaft zweier großen Nationen nicht aus den Augen ver-
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] eine Sache. Hier, in meiner Vaterstadt, lernte ich, einige zwanzig
Jahre alt, ein Mädchen kennen, welches mich durch ihre Liebens-
würdigkeit gänzlich fesselte. Jch suchte mich ihr zu nähern, ich gestand
ihr schüchtern meine Ergebenheit, und ihr freundlicher Blick sagte mir
offen genug, daß sie mich nicht zurückweise. Es war nur einige
Male, daß ich sie ungestört sprechen konnte, und dennoch war ich
glücklich und dachte nur daran, dies Verhältniß zu einem bindenden
zu machen. Jch war damals im Geschäft meines Vaters. Jch
durfte nicht daran zweifeln, daß er in diese Verbindung einwilligen
würde, da das Mädchen einer angesehenen Familie angehörte. Eine
Reise, welche ich für das Geschäft zu machen hatte, sollte, wie ich
wähnte, meinem Glück nicht hinderlich sein. Jn einem Briefe,
welchen ich an das Mädchen schrieb, erklärte ich mich rückhaltlos und
versprach ihr, mich nach meiner Rückkehr um ihre Hand zu bewerben.
Länger, als ich gedacht hatte, blieb ich weg. Als ich zurück kam,
war das Mädchen verheirathet. Mein Brief hatte, wie ich freilich
erst um vieles später erfuhr, diese schnelle Heirath veranlaßt. Die
Familie des Mädchens war einem Berliner Geschäftshause stark ver-
pflichtet; sie suchte mit diesem in freundschaftlichen Beziehungen zu
stehen und hatte schon längst das Mädchen dem Sohn des Hauses,
welcher sie gesehen und Neigung zu ihr gefaßt hatte, versprochen.
Damals gerade, als mein Brief eingetroffen war, wurde dieser Be-
schluß auch dem Mädchen eröffnet; sie weigerte sich und zeigte
meinen Brief, indem sie darin einen Schutz für sich erblickte. Jhre
Weigerung blieb nutzlos; die Familie drang um so mehr in sie, je
mehr Gefahr für ihren Plan bei meiner Rückkehr vorauszusehen war.
Das Wohl und Wehe der Familie ward als von ihrer Entscheidung
abhängig bezeichnet, und — sie gab nach.

Ungefähr ein halbes Jahr später kam auch ich nach Berlin, um
dort in ein großes Bankgeschäft einzutreten. Von jenen Umständen,
welche ich eben erwähnte, war mir noch nichts bekannt, und so war
es natürlich, daß ich beschloß, mich durchaus von jener Frau fern zu
halten, welche mich elender gemacht hatte, als ich mir selbst zugestehen
wollte. Das geschäftige Treiben der großen Stadt machte mir An-
fangs die Sache leicht; aber obgleich ich angestrengt meinen Pflichten
oblag und andererseits die Vergnügungen der großen Stadt begierig
aufsuchte, immer lag der Alp jener unglücklichen Neigung auf mir.
Nicht lange Zeit währte es, da begegnete ich ihr an öffentlichen
Vergnügungsorten und traf zusammen mit ihr in Familienkreisen.
Wir traten uns als Fremde gegenüber; ich versuchte keine Annäherung.
Aber ihr Gemahl, welcher nichts von jenem früheren Verhältniß ahnte
und eben so wenig — ich glaube, bis zum gestrigen Tage — wußte,
daß ich aus derselben Stadt wie seine Frau stamme, drängte sich an
mich, schickte mir Einladungen, und da ich sie nicht annahm, über-
häufte er mich mit Vorwürfen. Gerade weil ich ihr kalt gegenüber-
trat und seine Frau nicht, wie die Anderen, zu bewundern schien,
glaubte er, mich gewinnen zu müssen, und suchte alle Gründe auf,
meine Abneigung gegen ihn, wie er meinte, zu beseitigen. So zwang
er mich fast, eine seiner Gesellschaften zu besuchen, und so stand
ich ihr wieder gegenüber. Was sie selbst damals auch empfinden
mochte, wir fanden uns beiderseits in die Rolle, welche die Pflicht
uns auferlegte. Mir aber wurde nun erst klar, welches Verhältniß
zwischen ihr und ihrem Gemahl bestand. Er war noch ziemlich jung;
aber aufgewachsen unter jener Jugend, welche begierig nach jedem
Vergnügen hascht und sich selbst als den Mittelpunkt jedweder Be-
[Spaltenumbruch] wegung betrachtet, war er hohl und flach, ein blasirter Geck mit ver-
goldeter Außenseite. Seine Frau war schön, und ihre Schönheit
schmeichelte der Eigenliebe des Thoren. Um sie zu zeigen, schleppte
er seine Frau von einem schalen Vergnügen zum andern, und ohne
auf ihr Sträuben zu achten, mußte sie in den Wirbel jenes
gesellschaftlichen Treibens eintreten, welches ihn selbst befriedigte,
mußte sie vor der Welt zu glänzen suchen und in ihrem eigenen
Hause die Huldigungen ihm gleichgesinnter schaler Menschen entgegen-
nehmen. Für ihn gab es kein Leben in der Familie, er hielt es nicht
für der Mühe werth, seiner Frau geistig nahe zu treten, auf ihren
Charakter zu achten; wenn sie nur seine Eitelkeit befriedigte, war ihm
genug geschehen. Sie aber, die schon mit Widerwillen sich ihm hin-
gegeben hatte, wurde, je mehr sie ihren Groll in sich selbst verschließen
mußte, um so herber gestimmt. Jhr sanfter Sinn war aufgestachelt
gegen den Mann, welcher nur das Widerwärtige vor ihre Augen
brachte, und sie dachte um so lieber an eine stille, süße Vergangenheit
zurück. Der Mann, den ich schilderte, war jener Wahnsinnige — Jhr
habt ihn eben unter anderem Namen und als einen Andern wieder-
gesehen; die Frau war Deine Mutter, Helene. Du weißt jetzt, warum
der Name selbst mir lieb klang; sie hat ja denselben Namen wie Du
getragen. Mein Groll gegen sie schwand dahin; ich fing an, sie zu
bedauern, und damit flammte aufs Neue meine Neigung auf. Ein
Druck ihrer Hand, als ich im Winkel stand und das bunte Treiben
um mich her abzuweisen suchte, griff mir in die Seele; sie ging an
mir mit schmerzbewegten Zügen vorüber. „Helene, arme Frau!“
flüsterte ich, und sie ließ den Kopf sinken. Wenn wir auch Beide
vor einer Annäherung zurückbebten — sie blieb nicht aus. Helene
offenbarte mir den schrecklichen Kampf ihres Jnnern, und ich sann auf
Rettung für sie. Jch versuchte, sie zur Flucht mit mir zu überreden.
Nach langem Sträuben fand sie sich dazu bereit. Die Mittel dazu
konnte ich mir leicht verschaffen. Jch stellte große Wechsel auf unser
Haus aus und ersuchte meinen Vater, sie einzulösen, indem ich ihm
meinen Entschluß mittheilte, mein Heil in Amerika zu versuchen.
Jenseits des Ozeans wollten wir eine Stätte suchen, wo wir ungestört
einander leben konnten. Jch verheimlichte meinen Plan nicht und
nahm von allen Bekannten Abschied, während Helene sich im Stillen
vorbereitete. Unsere Flucht gelang auf das Beste. Niemand hatte
von unserem Verkehr geahnt und Niemand dachte daran, daß ich
Helene entführt haben könnte. Wir gelangten, ohne angehalten zu
werden, nach New=York und reisten sofort in eine damals kleine Stadt
des Jnnern ab. Dort gründete ich ein Hauswesen und fing ein Ge-
schäft an, welches bald reussirte. Wir galten als Mann und Frau.
Jn glücklichem häuslichem Leben verstrichen einige Jahre. Jch wurde
nicht müde, meine Frau zu bewundern, und sie hing mit einer
unaussprechlichen Sanftmuth und Güte an meinem Herzen. Um mein
Glück vollständig zu machen, gebar sie mir eine Tochter, welcher ich
ihren Namen gab.“

Er hielt inne, hob mit der Hand den Kopf Helenens in die
Höhe und sah ihr mit innigem Blick ins Gesicht.

Es folgte während einiger Minuten ein tiefes Schweigen. Nur
Marie rückte unruhig auf dem Stuhl und öffnete halb den Mund;
aber sie zog es doch vor, still zu sein, als sie um sich her die nach-
denklichen Gesichter des Assessors und des Doktors betrachtete.

( Schluß folgt. )

[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz]
Der Untergang der römischen Republik im Jahr 1849.
Von
R. R.

Bald sind es zwanzig Jahre her, daß die jüngste römische Republik pro-
klamirt wurde, welche in einer Weise sich zu befestigen begann, die, gegenüber
der Unzahl feindlicher Kräfte, wahrhaft in Erstaunen setzen muß. Von Jnnen
heraus war sie nicht zu stürzen. Dazu bedurfte es einer fremden Jntervention,
welche das wechselvolle Jahr 1849 bringen sollte. Die dadurch herbei-
geführte Vernichtung des jungen Freistaats entschied auf lange Zeit die
Geschicke Jtaliens. Die Bedeutung dieses Ereignisses an sich, sowie die
Umstände, unter denen es stattfand, noch mehr aber die Beziehungen zur
Gegenwart rechtfertigen wohl eine etwas genauere Schilderung.

Papst Pius IX. rief nach seiner Flucht nach Gaëta alle katholischen
Mächte auf, ihm zu Hülfe zu kommen, und in der That schickten sich auch
Oesterreich, Neapel und Spanien an, die verlangte bewaffnete Jntervention
in den römischen Staaten auszuführen, und die von diesen Seiten kom-
mende Hülfe war dem Kirchenoberhaupt auch die angenehmste. Jn Frank-
reich, der Schwesterrepublik, aber beeilte man sich, allen Anderen zuvor zu
kommen. Hier war unterdessen Ludwig Napoleon zum Präsidenten ge-
wählt worden. Ganz in der Stille rüstete man ein Expeditionskorps
von 15,000 Mann unter General Oudinot aus. Jm letzten Augenblick
verkündete das Ministerium zu Paris der dortigen National=Versammlung,
diese Expedition bezwecke, „den französischen Einfluß in Jtalien aufrecht
zu erhalten und Frankreich auf freundschaftlichem Wege mit dem Willen
[Spaltenumbruch] des römischen Volks bekannt zu machen, welchen Willen, wie immer er
laute, Frankreich sanktioniren wolle.“

Am 24. April 1849 langte die Expedition vor Civitavecchia an; der
„Ober=General, Volksrepräsentant“ Oudinot, sandte einen Adjutanten,
Eskadron=Chef d'Espivent, an den Gouverneur des Platzes mit der Auf-
forderung, dafür zu sorgen, daß die französischen Truppen so empfangen
würden, „wie es Alliirten gebühre, welche durch so freundschaftliche Ab-
sichten in das Land gerufen werden.“

Hierauf antwortete der Gouverneur dem Eskadron=Chef, daß er zufolge
der ihm von Rom zugekommenen Weisung ein Landen französischer Truppen
nicht dulden dürfe. Leider war aber zum Widerstand nichts vorbereitet.
Bei dieser Besprechung unterhielt sich der französische Adjutant mit einigen
herbeigekommenen Munizipalbeamten, und als er dieselben durch allerhand
liberale Redensarten günstig gestimmt zu haben glaubte, brachte er eine
Anzahl gedruckter Proklamationen an die „Bewohner der römischen Staa-
ten “ zum Vorschein, worin gesagt war, die Truppensendung geschehe „nicht
um die gegenwärtige, von dem französischen Gouvernement nicht anerkannte
Regierung zu vertheidigen“, sondern um „die Herstellung eines Regime zu
erleichtern, gleich weit entfernt von den durch die Großmuth Pius' IX.
für immer zerstörten Mißbräuchen, wie von der Anarchie dieser letzten
Zeiten“. Die französische Fahne sei das Banner „des Friedens, der Ord-
nung, der Versöhnung und der Freiheit.“

Als in der römischen Nationalversammlung diese Proklamation verlesen
wurde, entstand eine gewaltige Erbitterung. Der Abgeordnete Bonaparte
suchte zu beruhigen, indem er zwar beistimmte, daß man rüsten müsse, doch
aber die Brüderschaft zweier großen Nationen nicht aus den Augen ver-
[Ende Spaltensatz]

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[187/0003] 187 eine Sache. Hier, in meiner Vaterstadt, lernte ich, einige zwanzig Jahre alt, ein Mädchen kennen, welches mich durch ihre Liebens- würdigkeit gänzlich fesselte. Jch suchte mich ihr zu nähern, ich gestand ihr schüchtern meine Ergebenheit, und ihr freundlicher Blick sagte mir offen genug, daß sie mich nicht zurückweise. Es war nur einige Male, daß ich sie ungestört sprechen konnte, und dennoch war ich glücklich und dachte nur daran, dies Verhältniß zu einem bindenden zu machen. Jch war damals im Geschäft meines Vaters. Jch durfte nicht daran zweifeln, daß er in diese Verbindung einwilligen würde, da das Mädchen einer angesehenen Familie angehörte. Eine Reise, welche ich für das Geschäft zu machen hatte, sollte, wie ich wähnte, meinem Glück nicht hinderlich sein. Jn einem Briefe, welchen ich an das Mädchen schrieb, erklärte ich mich rückhaltlos und versprach ihr, mich nach meiner Rückkehr um ihre Hand zu bewerben. Länger, als ich gedacht hatte, blieb ich weg. Als ich zurück kam, war das Mädchen verheirathet. Mein Brief hatte, wie ich freilich erst um vieles später erfuhr, diese schnelle Heirath veranlaßt. Die Familie des Mädchens war einem Berliner Geschäftshause stark ver- pflichtet; sie suchte mit diesem in freundschaftlichen Beziehungen zu stehen und hatte schon längst das Mädchen dem Sohn des Hauses, welcher sie gesehen und Neigung zu ihr gefaßt hatte, versprochen. Damals gerade, als mein Brief eingetroffen war, wurde dieser Be- schluß auch dem Mädchen eröffnet; sie weigerte sich und zeigte meinen Brief, indem sie darin einen Schutz für sich erblickte. Jhre Weigerung blieb nutzlos; die Familie drang um so mehr in sie, je mehr Gefahr für ihren Plan bei meiner Rückkehr vorauszusehen war. Das Wohl und Wehe der Familie ward als von ihrer Entscheidung abhängig bezeichnet, und — sie gab nach. Ungefähr ein halbes Jahr später kam auch ich nach Berlin, um dort in ein großes Bankgeschäft einzutreten. Von jenen Umständen, welche ich eben erwähnte, war mir noch nichts bekannt, und so war es natürlich, daß ich beschloß, mich durchaus von jener Frau fern zu halten, welche mich elender gemacht hatte, als ich mir selbst zugestehen wollte. Das geschäftige Treiben der großen Stadt machte mir An- fangs die Sache leicht; aber obgleich ich angestrengt meinen Pflichten oblag und andererseits die Vergnügungen der großen Stadt begierig aufsuchte, immer lag der Alp jener unglücklichen Neigung auf mir. Nicht lange Zeit währte es, da begegnete ich ihr an öffentlichen Vergnügungsorten und traf zusammen mit ihr in Familienkreisen. Wir traten uns als Fremde gegenüber; ich versuchte keine Annäherung. Aber ihr Gemahl, welcher nichts von jenem früheren Verhältniß ahnte und eben so wenig — ich glaube, bis zum gestrigen Tage — wußte, daß ich aus derselben Stadt wie seine Frau stamme, drängte sich an mich, schickte mir Einladungen, und da ich sie nicht annahm, über- häufte er mich mit Vorwürfen. Gerade weil ich ihr kalt gegenüber- trat und seine Frau nicht, wie die Anderen, zu bewundern schien, glaubte er, mich gewinnen zu müssen, und suchte alle Gründe auf, meine Abneigung gegen ihn, wie er meinte, zu beseitigen. So zwang er mich fast, eine seiner Gesellschaften zu besuchen, und so stand ich ihr wieder gegenüber. Was sie selbst damals auch empfinden mochte, wir fanden uns beiderseits in die Rolle, welche die Pflicht uns auferlegte. Mir aber wurde nun erst klar, welches Verhältniß zwischen ihr und ihrem Gemahl bestand. Er war noch ziemlich jung; aber aufgewachsen unter jener Jugend, welche begierig nach jedem Vergnügen hascht und sich selbst als den Mittelpunkt jedweder Be- wegung betrachtet, war er hohl und flach, ein blasirter Geck mit ver- goldeter Außenseite. Seine Frau war schön, und ihre Schönheit schmeichelte der Eigenliebe des Thoren. Um sie zu zeigen, schleppte er seine Frau von einem schalen Vergnügen zum andern, und ohne auf ihr Sträuben zu achten, mußte sie in den Wirbel jenes gesellschaftlichen Treibens eintreten, welches ihn selbst befriedigte, mußte sie vor der Welt zu glänzen suchen und in ihrem eigenen Hause die Huldigungen ihm gleichgesinnter schaler Menschen entgegen- nehmen. Für ihn gab es kein Leben in der Familie, er hielt es nicht für der Mühe werth, seiner Frau geistig nahe zu treten, auf ihren Charakter zu achten; wenn sie nur seine Eitelkeit befriedigte, war ihm genug geschehen. Sie aber, die schon mit Widerwillen sich ihm hin- gegeben hatte, wurde, je mehr sie ihren Groll in sich selbst verschließen mußte, um so herber gestimmt. Jhr sanfter Sinn war aufgestachelt gegen den Mann, welcher nur das Widerwärtige vor ihre Augen brachte, und sie dachte um so lieber an eine stille, süße Vergangenheit zurück. Der Mann, den ich schilderte, war jener Wahnsinnige — Jhr habt ihn eben unter anderem Namen und als einen Andern wieder- gesehen; die Frau war Deine Mutter, Helene. Du weißt jetzt, warum der Name selbst mir lieb klang; sie hat ja denselben Namen wie Du getragen. Mein Groll gegen sie schwand dahin; ich fing an, sie zu bedauern, und damit flammte aufs Neue meine Neigung auf. Ein Druck ihrer Hand, als ich im Winkel stand und das bunte Treiben um mich her abzuweisen suchte, griff mir in die Seele; sie ging an mir mit schmerzbewegten Zügen vorüber. „Helene, arme Frau!“ flüsterte ich, und sie ließ den Kopf sinken. Wenn wir auch Beide vor einer Annäherung zurückbebten — sie blieb nicht aus. Helene offenbarte mir den schrecklichen Kampf ihres Jnnern, und ich sann auf Rettung für sie. Jch versuchte, sie zur Flucht mit mir zu überreden. Nach langem Sträuben fand sie sich dazu bereit. Die Mittel dazu konnte ich mir leicht verschaffen. Jch stellte große Wechsel auf unser Haus aus und ersuchte meinen Vater, sie einzulösen, indem ich ihm meinen Entschluß mittheilte, mein Heil in Amerika zu versuchen. Jenseits des Ozeans wollten wir eine Stätte suchen, wo wir ungestört einander leben konnten. Jch verheimlichte meinen Plan nicht und nahm von allen Bekannten Abschied, während Helene sich im Stillen vorbereitete. Unsere Flucht gelang auf das Beste. Niemand hatte von unserem Verkehr geahnt und Niemand dachte daran, daß ich Helene entführt haben könnte. Wir gelangten, ohne angehalten zu werden, nach New=York und reisten sofort in eine damals kleine Stadt des Jnnern ab. Dort gründete ich ein Hauswesen und fing ein Ge- schäft an, welches bald reussirte. Wir galten als Mann und Frau. Jn glücklichem häuslichem Leben verstrichen einige Jahre. Jch wurde nicht müde, meine Frau zu bewundern, und sie hing mit einer unaussprechlichen Sanftmuth und Güte an meinem Herzen. Um mein Glück vollständig zu machen, gebar sie mir eine Tochter, welcher ich ihren Namen gab.“ Er hielt inne, hob mit der Hand den Kopf Helenens in die Höhe und sah ihr mit innigem Blick ins Gesicht. Es folgte während einiger Minuten ein tiefes Schweigen. Nur Marie rückte unruhig auf dem Stuhl und öffnete halb den Mund; aber sie zog es doch vor, still zu sein, als sie um sich her die nach- denklichen Gesichter des Assessors und des Doktors betrachtete. ( Schluß folgt. ) Der Untergang der römischen Republik im Jahr 1849. Von R. R. Bald sind es zwanzig Jahre her, daß die jüngste römische Republik pro- klamirt wurde, welche in einer Weise sich zu befestigen begann, die, gegenüber der Unzahl feindlicher Kräfte, wahrhaft in Erstaunen setzen muß. Von Jnnen heraus war sie nicht zu stürzen. Dazu bedurfte es einer fremden Jntervention, welche das wechselvolle Jahr 1849 bringen sollte. Die dadurch herbei- geführte Vernichtung des jungen Freistaats entschied auf lange Zeit die Geschicke Jtaliens. Die Bedeutung dieses Ereignisses an sich, sowie die Umstände, unter denen es stattfand, noch mehr aber die Beziehungen zur Gegenwart rechtfertigen wohl eine etwas genauere Schilderung. Papst Pius IX. rief nach seiner Flucht nach Gaëta alle katholischen Mächte auf, ihm zu Hülfe zu kommen, und in der That schickten sich auch Oesterreich, Neapel und Spanien an, die verlangte bewaffnete Jntervention in den römischen Staaten auszuführen, und die von diesen Seiten kom- mende Hülfe war dem Kirchenoberhaupt auch die angenehmste. Jn Frank- reich, der Schwesterrepublik, aber beeilte man sich, allen Anderen zuvor zu kommen. Hier war unterdessen Ludwig Napoleon zum Präsidenten ge- wählt worden. Ganz in der Stille rüstete man ein Expeditionskorps von 15,000 Mann unter General Oudinot aus. Jm letzten Augenblick verkündete das Ministerium zu Paris der dortigen National=Versammlung, diese Expedition bezwecke, „den französischen Einfluß in Jtalien aufrecht zu erhalten und Frankreich auf freundschaftlichem Wege mit dem Willen des römischen Volks bekannt zu machen, welchen Willen, wie immer er laute, Frankreich sanktioniren wolle.“ Am 24. April 1849 langte die Expedition vor Civitavecchia an; der „Ober=General, Volksrepräsentant“ Oudinot, sandte einen Adjutanten, Eskadron=Chef d'Espivent, an den Gouverneur des Platzes mit der Auf- forderung, dafür zu sorgen, daß die französischen Truppen so empfangen würden, „wie es Alliirten gebühre, welche durch so freundschaftliche Ab- sichten in das Land gerufen werden.“ Hierauf antwortete der Gouverneur dem Eskadron=Chef, daß er zufolge der ihm von Rom zugekommenen Weisung ein Landen französischer Truppen nicht dulden dürfe. Leider war aber zum Widerstand nichts vorbereitet. Bei dieser Besprechung unterhielt sich der französische Adjutant mit einigen herbeigekommenen Munizipalbeamten, und als er dieselben durch allerhand liberale Redensarten günstig gestimmt zu haben glaubte, brachte er eine Anzahl gedruckter Proklamationen an die „Bewohner der römischen Staa- ten “ zum Vorschein, worin gesagt war, die Truppensendung geschehe „nicht um die gegenwärtige, von dem französischen Gouvernement nicht anerkannte Regierung zu vertheidigen“, sondern um „die Herstellung eines Regime zu erleichtern, gleich weit entfernt von den durch die Großmuth Pius' IX. für immer zerstörten Mißbräuchen, wie von der Anarchie dieser letzten Zeiten“. Die französische Fahne sei das Banner „des Friedens, der Ord- nung, der Versöhnung und der Freiheit.“ Als in der römischen Nationalversammlung diese Proklamation verlesen wurde, entstand eine gewaltige Erbitterung. Der Abgeordnete Bonaparte suchte zu beruhigen, indem er zwar beistimmte, daß man rüsten müsse, doch aber die Brüderschaft zweier großen Nationen nicht aus den Augen ver-

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Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 24. Berlin, 14. Juni 1868, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt24_1868/3>, abgerufen am 14.06.2024.