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Sonntags-Blatt. Nr. 24. Berlin, 13. Juni 1869.

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[Beginn Spaltensatz] Robe, hat das Kattunkleid Platz genommen, zerrissene Hosen und
feine, neue Cylinderhüte, niedliche Jugendgesichter und leuchtende
Kupfernasen, Chignons, Locken, gedrehte Schnurrbärte, ein Herr in
leichter Sommertoilette und eine Dame im Pelzmantel, schwere Uhr-
ketten von Talmigold und Siegelringe, die einen schmutzig grünen
Reifen auf den Finger malen -- das Alles hat sich vor unseren
Augen in wirrem Durcheinander gruppirt, so daß wir vor allen Din-
gen einige Zeit gebrauchen, um uns in dem buntbewegten Bilde zu
orientiren. Wir finden die Meisten im Grunde genommen doch recht
anständig gekleidet. Wenn die Mehrzahl der Männer auch schief-
getretene Stiefel trägt, so haben doch nur Wenige durchsichtige Ell-
bogen an den Röcken, oder Vatermörder, denen man es ansieht, daß
sie ihr Besitzer denselben Morgen aus Briefpapier geschnitten. Sie
rauchen auch; die Cigarette aus der Fabrik Laferme, die kurze Pfeife
mit Porzellankopf, und alle dazwischen liegenden Abstufungen sind unter
diesen Künstlern gern gesehen. Jn dem Dampf, der sich dabei ent-
wickelt, schwinden die von uns entfernter sitzenden Gruppen allmälig
immer mehr in eine nebelhafte Ferne, so daß wir gezwungen sind,
uns mit der nächsten Umgebung zu beschäftigen und den Worten zu
lauschen, die wir von unserer Tischgesellschaft hören.

Ein junger Mann, der sein "seelenvolles" Auge fortdauernd wild
in den Höhlen rollen läßt und mit der Hand während einer Minute
wohl zehnmal durch sein schwarzes, mähnenartiges Haar fährt, lamen-
tirt den Kollegen etwas vor.

"Jch habe eine Thorheit begangen; im vorigen Jahre sollte ich
bei der kaiserlichen Oper debütiren, aber ich hatte meinen Kopf d'rauf
gesetzt, ich wollte Schauspieler sein, ich mochte nicht singen; es war,
wie gesagt, eine Dummheit, mit meinem ochsigen Baß hätte ich
Furore gemacht!"

"Ja, das Glück kommt nur einmal", flötet eine Dame. "Als
ich mit meiner Freundin, der Bettelheim, zusammen die Afrikanerin
einstudirte, sollte ich durchaus die Selika übernehmen, aber ich trat
ihr die Rolle ab, obgleich sie für meine Stimmlage besser paßte; sie
ist bei der Selika eine berühmte Künstlerin geworden, und ich habe
die letzte Saison bei einer Schmiere*) singen müssen."

"Jch hatte mich eigentlich für's Nestroyanische Fach**) ausgebildet,
aber da sah mich ein alter Freund, der Direktor in Magdeburg, mit
dem ich auf Du stehe, als ich zufällig für einen Kollegen den Hamlet
machte. Der ließ mir nicht eher Ruhe, als bis ich mit ihm ging, und
seitdem spiele ich nur klassische Rollen", erzählt ein ziemlich schäbig
gekleideter Mann, der noch mehr von seiner Künstlerlaufbahn zum
Besten gegeben hätte, wenn ihm nicht in demselben Augenblick ein
neuer Ankömmling auf die Schulter geklopft und ihn vertraulich ge-
fragt hätte:

"Grüß Gott, Nazi! Bist Du denn nicht mehr Souffleur beim
Direktor Stupintschka?"

So geht die Unterhaltung weiter. Jeder Einzelne sucht den An-
dern durch seine Bekanntschaften, durch seine Leistungen, durch die
von ihm ausgeschlagenen Engagementsanerbieten zu imponiren. Dabei
wird, um den volksthümlichen Ausdruck zu brauchen, das Blaue vom
Himmel heruntergelogen, und wahrhaftig, nach dem Dichterwort sind
diese Herren und Damen unter allen Umständen nicht in die Kate-
gorie der "Lumpe" zu rechnen, denn sie kennen das Wort " Bescheiden-
heit " wohl kaum, der Begriff ist ihnen wenigstens sicher verloren
gegangen, das Geringste, was man zu hören bekommt, lautet etwa:
Ja der Krastel, der La Roche, das sind große Künstler, aber ich
bin auch nicht übel!"

Doch jetzt ändert sich die Scene, eine Bewegung, ein Flüstern zieht
durch die Gruppen, welche den "Wasen" lebendig machen; auch uns
raunt einer der Mimen einige Worte in's Ohr:

"Es sind Direktoren angekommen!"

Es ist so, wie der Mann sagte, und nun beginnt das eigentliche
Geschäft. Mit Kennermiene blicken die Herren Direktoren um sich,
zwei kleine, ziemlich wohlgenährte Kerle mit verschmitzten Gesichtern,
die vorläufig nur Bekanntschaften machen zu wollen scheinen. Diesen
oder jenen, den sie in früherer Zeit schon einmal engagirt oder wenig-
stens gesehen haben mögen, reden sie wohl an, aber sie lassen sich noch
nicht auf längere Gespräche ein, sie warten noch auf Kollegen. Die
Letzteren treffen dann auch nach und nach ein, sogar eine Direktorin,
ein Weib, der man die "böse Sieben" schon auf fünfzig Schritte Ent-
fernung ansieht.

Jnzwischen ist die Unterhaltung im ganzen Lokal verändert. Der
langhaarige Jüngling mit dem "ochsigen" Baß redet jetzt nur in
Citaten. Der Kellner bringt ihm das frisch bestellte "Krügl Lager"
nicht rasch genug, da schreit er dem Säumenden zu: "Schurke, es
soll mich kitzeln, mit Dir verdammt zu sein!" Er wirft einen
Cigarrenstumpf fort mit den Worten: "Der Mohr hat seine Schul-
digkeit gethan, der Mohr kann gehen!" Sein letztes Engagement
[Spaltenumbruch] war der "Winter seines Mißvergnügens", er befand sich dabei "unter
Larven die einzige fühlende Brust", der Direktor war dort "ein kon-
fiszirter widriger Kerl, als hätte ihn irgend ein Schleichhändler in die
Welt hineingeschleudert" u. s. f. Der junge Mann erreicht auf diese
Weise wirklich seinen Zweck, er macht die Frau Direktorin auf sich
aufmerksam, und diese findet, daß der Mensch mit dem "seelenvollen"
Auge "zum Romeo geboren" sei; sie nimmt an seiner Seite Platz
und spricht, leise flüsternd, mit ihm. Jn weniger als einer Viertel-
stunde hat sie sich von den Vorzügen des vielbelesenen Mimen über-
zeugt, sie hat dabei Hände, Augen und Ohren gebraucht, sie weiß
jetzt, daß jener in Tricots "sehr schön ausschau'n" müsse, und --
"das lieben unsere Madeln", wie sie sagt. Das Geschäft ist bald
abgeschlossen, der Romeo ist für die Bühne von Kloster=Neuburg mit
zwanzig Gulden monatlich engagirt, und um ihre "Generosität" zu
zeigen, ruft die Direktorin den Kellner, bei dem sie ihrem neuen
Untergebenen ein "Schnitzl" und ein Seidel Wein bestellt.

Eine andere Taktik, als der junge Mann, verfolgt die "Freundin
der Bettelheim". Sie kramt vor sich ein Packet alter Zeitungen aus:
Mährischer Korrespondent, Jglauer Sonntagsblatt, Egerer Bote,
Reichenberger Anzeiger, Linzer Tagespost u. s. w. Das sind die Ver-
kündiger ihres Ruhms, darin kann man lesen, wie oft sie von den
lampenbeleuchteten Brettern herab die Menschheit entzückt hat. Nach
den Rezensionen der Provinzialkritiker zu urtheilen, muß sie eine große
Künstlerin sein. Das meint wenigstens der Direktor, der ihr fünf-
undzwanzig Gulden monatlich bietet, und sogar noch fünf zulegt,
als er erfährt, daß sie auch in "Hosenrollen a la Grobecker" mache.

Wieder andere Jünger und Jüngerinnen der Kunst setzen sich
schweigend auf ihren Stuhl, stolz in die Welt hinausblickend mit
dem Gefühl, daß es ihnen nicht fehlen könne. Das sind die "ersten
Helden", die "ersten Liebhaberinnen" , die zu stolz sind, die Auf-
merksamkeit auf sich zu lenken. Jhre Course stehen ziemlich hoch,
am höchsten in der ganzen Gesellschaft; eine "Cameliendame" wird
mit fünfundsiebzig Gulden notirt, ein "Faust" mit achtzig, eine "schöne
Helena" geht sogar mit neunzig Gulden monatlich ab.

So wiederholt sich derselbe Handel vom Morgen bis zum Abend
während der ersten Tage der Komödiantenbörsenwoche. Jn den letzten
Tagen dagegen nimmt das Bild eine ganz andere Physiognomie an.
Diejenigen, die noch nicht zu der niedrigsten Klasse der Mimen ge-
hören, sind engagirt, nur noch die Hefe ist übrig geblieben. Diese
haben ihr Lebelang nur "in Schmieren gearbeitet", sie besitzen indessen
ohne Ausnahme eine seltene Vielseitigkeit, sie übernehmen nicht nur
jede Rolle, sondern sind auch bereit, als Orchestermitglieder, Deko-
rationsmaler, sogar als Theaterschneider sich engagiren zu lassen.
Was jetzt noch im "Wasen" zu finden ist, gehört ohne Ausnahme in
die Klasse der lärmenden Histrionen, dramatischen Trunkenbolde und
brutalen Pumper, die mit Jedem Brüderschaft machen wollen, dem
Fremden sein Bier austrinken oder ihn um eine Cigarre anbetteln.
Aber auch diese "Theaterleut'" finden schließlich größtentheils noch ein
Unterkommen, nur wenige bleiben bis zum Ostersonntag ohne Enga-
gement im "Wasen", um dann mit stiller Resignation sich Tagelöhner-
arbeit in der Kaiserstadt zu suchen oder als bettelnde Renommisten
unter dem Namen "vagirende Künstler" durch das Land zu "fechten".

Am Mittag des Ostersonntag ist endlich Alles in alle Winde aus-
einander gestoben, Jeder ist auf der Fahrt oder auf dem Marsch nach
seinem neuen Bestimmungsort, denn am Ostermontag beginnt die
Saison, da werden überall die Theater wieder eröffnet. Ein Jahr
lang treiben die "Künstler" dann ihr Wesen bei den Bühnen und
Bühnchen in Böhmen, Mähren, Steiermark, Salzburg, sogar im
fernen siebenbürgischen Sachsen; ist aber das Jahr vorüber, dann
zieht es sie wieder nach der Kaiserstadt, und dann finden wir Alle,
die wir diesmal im "Wasen" gesehen, mit demselben stolzen Künstler-
bewußtsein dort wieder, wenn nicht inzwischen dieser oder jener in
irgend einem Krankenhause in der Ferne gestorben oder auf andere
Weise gänzlich verdorben ist.



Ein deutscher Sprachforscher.
( Schluß ) .

Jn Tübingen sollte nun ernstlich studirt werden, aber das Bier war
zu gut, der "Füchse" gab es so viele, auf deren "Bude" nach der Polizei-
stunde noch ein Fäßchen zu leeren war, an frühes Aufstehen war demnach
nicht zu denken, Händel gab's auch wieder auszupauken -- einige, wenn
auch gut vernarbte, Zeichen dieser Thätigkeit und ihrer Folgen blieben
auf Schleicher's Stirn immer sichtbar -- was Wunder, wenn die liebe
Theologie auch jetzt etwas stiefmütterlich behandelt wurde! Der einzige
Vortheil, den der nachmalige Sprachgelehrte aus seinem Aufenthalt auf
der schwäbischen Hochschule zog, war der, daß er sich unter Ewald's Lei-
tung der Beschäftigung mit den orientalischen Sprachen zugewendet hatte.

Das akademische Triennium war zurückgelegt; Geld hatte es genug ge-
kostet, wenigstens hatte der Vater bei jeder Sendung, die er machen mußte,
Klagelieder angestimmt -- aber gelernt war nicht viel, und das war gut
[Ende Spaltensatz]

*) "Schmiere" ist Kunstausdruck für wandernde Schauspielertruppen.
**) Das "Nestroyanische Fach": Komik in Nestroy's Genre.

[Beginn Spaltensatz] Robe, hat das Kattunkleid Platz genommen, zerrissene Hosen und
feine, neue Cylinderhüte, niedliche Jugendgesichter und leuchtende
Kupfernasen, Chignons, Locken, gedrehte Schnurrbärte, ein Herr in
leichter Sommertoilette und eine Dame im Pelzmantel, schwere Uhr-
ketten von Talmigold und Siegelringe, die einen schmutzig grünen
Reifen auf den Finger malen — das Alles hat sich vor unseren
Augen in wirrem Durcheinander gruppirt, so daß wir vor allen Din-
gen einige Zeit gebrauchen, um uns in dem buntbewegten Bilde zu
orientiren. Wir finden die Meisten im Grunde genommen doch recht
anständig gekleidet. Wenn die Mehrzahl der Männer auch schief-
getretene Stiefel trägt, so haben doch nur Wenige durchsichtige Ell-
bogen an den Röcken, oder Vatermörder, denen man es ansieht, daß
sie ihr Besitzer denselben Morgen aus Briefpapier geschnitten. Sie
rauchen auch; die Cigarette aus der Fabrik Laferme, die kurze Pfeife
mit Porzellankopf, und alle dazwischen liegenden Abstufungen sind unter
diesen Künstlern gern gesehen. Jn dem Dampf, der sich dabei ent-
wickelt, schwinden die von uns entfernter sitzenden Gruppen allmälig
immer mehr in eine nebelhafte Ferne, so daß wir gezwungen sind,
uns mit der nächsten Umgebung zu beschäftigen und den Worten zu
lauschen, die wir von unserer Tischgesellschaft hören.

Ein junger Mann, der sein „seelenvolles“ Auge fortdauernd wild
in den Höhlen rollen läßt und mit der Hand während einer Minute
wohl zehnmal durch sein schwarzes, mähnenartiges Haar fährt, lamen-
tirt den Kollegen etwas vor.

„Jch habe eine Thorheit begangen; im vorigen Jahre sollte ich
bei der kaiserlichen Oper debütiren, aber ich hatte meinen Kopf d'rauf
gesetzt, ich wollte Schauspieler sein, ich mochte nicht singen; es war,
wie gesagt, eine Dummheit, mit meinem ochsigen Baß hätte ich
Furore gemacht!“

„Ja, das Glück kommt nur einmal“, flötet eine Dame. „Als
ich mit meiner Freundin, der Bettelheim, zusammen die Afrikanerin
einstudirte, sollte ich durchaus die Selika übernehmen, aber ich trat
ihr die Rolle ab, obgleich sie für meine Stimmlage besser paßte; sie
ist bei der Selika eine berühmte Künstlerin geworden, und ich habe
die letzte Saison bei einer Schmiere*) singen müssen.“

„Jch hatte mich eigentlich für's Nestroyanische Fach**) ausgebildet,
aber da sah mich ein alter Freund, der Direktor in Magdeburg, mit
dem ich auf Du stehe, als ich zufällig für einen Kollegen den Hamlet
machte. Der ließ mir nicht eher Ruhe, als bis ich mit ihm ging, und
seitdem spiele ich nur klassische Rollen“, erzählt ein ziemlich schäbig
gekleideter Mann, der noch mehr von seiner Künstlerlaufbahn zum
Besten gegeben hätte, wenn ihm nicht in demselben Augenblick ein
neuer Ankömmling auf die Schulter geklopft und ihn vertraulich ge-
fragt hätte:

„Grüß Gott, Nazi! Bist Du denn nicht mehr Souffleur beim
Direktor Stupintschka?“

So geht die Unterhaltung weiter. Jeder Einzelne sucht den An-
dern durch seine Bekanntschaften, durch seine Leistungen, durch die
von ihm ausgeschlagenen Engagementsanerbieten zu imponiren. Dabei
wird, um den volksthümlichen Ausdruck zu brauchen, das Blaue vom
Himmel heruntergelogen, und wahrhaftig, nach dem Dichterwort sind
diese Herren und Damen unter allen Umständen nicht in die Kate-
gorie der „Lumpe“ zu rechnen, denn sie kennen das Wort „ Bescheiden-
heit “ wohl kaum, der Begriff ist ihnen wenigstens sicher verloren
gegangen, das Geringste, was man zu hören bekommt, lautet etwa:
Ja der Krastel, der La Roche, das sind große Künstler, aber ich
bin auch nicht übel!“

Doch jetzt ändert sich die Scene, eine Bewegung, ein Flüstern zieht
durch die Gruppen, welche den „Wasen“ lebendig machen; auch uns
raunt einer der Mimen einige Worte in's Ohr:

„Es sind Direktoren angekommen!“

Es ist so, wie der Mann sagte, und nun beginnt das eigentliche
Geschäft. Mit Kennermiene blicken die Herren Direktoren um sich,
zwei kleine, ziemlich wohlgenährte Kerle mit verschmitzten Gesichtern,
die vorläufig nur Bekanntschaften machen zu wollen scheinen. Diesen
oder jenen, den sie in früherer Zeit schon einmal engagirt oder wenig-
stens gesehen haben mögen, reden sie wohl an, aber sie lassen sich noch
nicht auf längere Gespräche ein, sie warten noch auf Kollegen. Die
Letzteren treffen dann auch nach und nach ein, sogar eine Direktorin,
ein Weib, der man die „böse Sieben“ schon auf fünfzig Schritte Ent-
fernung ansieht.

Jnzwischen ist die Unterhaltung im ganzen Lokal verändert. Der
langhaarige Jüngling mit dem „ochsigen“ Baß redet jetzt nur in
Citaten. Der Kellner bringt ihm das frisch bestellte „Krügl Lager“
nicht rasch genug, da schreit er dem Säumenden zu: „Schurke, es
soll mich kitzeln, mit Dir verdammt zu sein!“ Er wirft einen
Cigarrenstumpf fort mit den Worten: „Der Mohr hat seine Schul-
digkeit gethan, der Mohr kann gehen!“ Sein letztes Engagement
[Spaltenumbruch] war der „Winter seines Mißvergnügens“, er befand sich dabei „unter
Larven die einzige fühlende Brust“, der Direktor war dort „ein kon-
fiszirter widriger Kerl, als hätte ihn irgend ein Schleichhändler in die
Welt hineingeschleudert“ u. s. f. Der junge Mann erreicht auf diese
Weise wirklich seinen Zweck, er macht die Frau Direktorin auf sich
aufmerksam, und diese findet, daß der Mensch mit dem „seelenvollen“
Auge „zum Romeo geboren“ sei; sie nimmt an seiner Seite Platz
und spricht, leise flüsternd, mit ihm. Jn weniger als einer Viertel-
stunde hat sie sich von den Vorzügen des vielbelesenen Mimen über-
zeugt, sie hat dabei Hände, Augen und Ohren gebraucht, sie weiß
jetzt, daß jener in Tricots „sehr schön ausschau'n“ müsse, und —
„das lieben unsere Madeln“, wie sie sagt. Das Geschäft ist bald
abgeschlossen, der Romeo ist für die Bühne von Kloster=Neuburg mit
zwanzig Gulden monatlich engagirt, und um ihre „Generosität“ zu
zeigen, ruft die Direktorin den Kellner, bei dem sie ihrem neuen
Untergebenen ein „Schnitzl“ und ein Seidel Wein bestellt.

Eine andere Taktik, als der junge Mann, verfolgt die „Freundin
der Bettelheim“. Sie kramt vor sich ein Packet alter Zeitungen aus:
Mährischer Korrespondent, Jglauer Sonntagsblatt, Egerer Bote,
Reichenberger Anzeiger, Linzer Tagespost u. s. w. Das sind die Ver-
kündiger ihres Ruhms, darin kann man lesen, wie oft sie von den
lampenbeleuchteten Brettern herab die Menschheit entzückt hat. Nach
den Rezensionen der Provinzialkritiker zu urtheilen, muß sie eine große
Künstlerin sein. Das meint wenigstens der Direktor, der ihr fünf-
undzwanzig Gulden monatlich bietet, und sogar noch fünf zulegt,
als er erfährt, daß sie auch in „Hosenrollen à la Grobecker“ mache.

Wieder andere Jünger und Jüngerinnen der Kunst setzen sich
schweigend auf ihren Stuhl, stolz in die Welt hinausblickend mit
dem Gefühl, daß es ihnen nicht fehlen könne. Das sind die „ersten
Helden“, die „ersten Liebhaberinnen“ , die zu stolz sind, die Auf-
merksamkeit auf sich zu lenken. Jhre Course stehen ziemlich hoch,
am höchsten in der ganzen Gesellschaft; eine „Cameliendame“ wird
mit fünfundsiebzig Gulden notirt, ein „Faust“ mit achtzig, eine „schöne
Helena“ geht sogar mit neunzig Gulden monatlich ab.

So wiederholt sich derselbe Handel vom Morgen bis zum Abend
während der ersten Tage der Komödiantenbörsenwoche. Jn den letzten
Tagen dagegen nimmt das Bild eine ganz andere Physiognomie an.
Diejenigen, die noch nicht zu der niedrigsten Klasse der Mimen ge-
hören, sind engagirt, nur noch die Hefe ist übrig geblieben. Diese
haben ihr Lebelang nur „in Schmieren gearbeitet“, sie besitzen indessen
ohne Ausnahme eine seltene Vielseitigkeit, sie übernehmen nicht nur
jede Rolle, sondern sind auch bereit, als Orchestermitglieder, Deko-
rationsmaler, sogar als Theaterschneider sich engagiren zu lassen.
Was jetzt noch im „Wasen“ zu finden ist, gehört ohne Ausnahme in
die Klasse der lärmenden Histrionen, dramatischen Trunkenbolde und
brutalen Pumper, die mit Jedem Brüderschaft machen wollen, dem
Fremden sein Bier austrinken oder ihn um eine Cigarre anbetteln.
Aber auch diese „Theaterleut'“ finden schließlich größtentheils noch ein
Unterkommen, nur wenige bleiben bis zum Ostersonntag ohne Enga-
gement im „Wasen“, um dann mit stiller Resignation sich Tagelöhner-
arbeit in der Kaiserstadt zu suchen oder als bettelnde Renommisten
unter dem Namen „vagirende Künstler“ durch das Land zu „fechten“.

Am Mittag des Ostersonntag ist endlich Alles in alle Winde aus-
einander gestoben, Jeder ist auf der Fahrt oder auf dem Marsch nach
seinem neuen Bestimmungsort, denn am Ostermontag beginnt die
Saison, da werden überall die Theater wieder eröffnet. Ein Jahr
lang treiben die „Künstler“ dann ihr Wesen bei den Bühnen und
Bühnchen in Böhmen, Mähren, Steiermark, Salzburg, sogar im
fernen siebenbürgischen Sachsen; ist aber das Jahr vorüber, dann
zieht es sie wieder nach der Kaiserstadt, und dann finden wir Alle,
die wir diesmal im „Wasen“ gesehen, mit demselben stolzen Künstler-
bewußtsein dort wieder, wenn nicht inzwischen dieser oder jener in
irgend einem Krankenhause in der Ferne gestorben oder auf andere
Weise gänzlich verdorben ist.



Ein deutscher Sprachforscher.
( Schluß ) .

Jn Tübingen sollte nun ernstlich studirt werden, aber das Bier war
zu gut, der „Füchse“ gab es so viele, auf deren „Bude“ nach der Polizei-
stunde noch ein Fäßchen zu leeren war, an frühes Aufstehen war demnach
nicht zu denken, Händel gab's auch wieder auszupauken — einige, wenn
auch gut vernarbte, Zeichen dieser Thätigkeit und ihrer Folgen blieben
auf Schleicher's Stirn immer sichtbar — was Wunder, wenn die liebe
Theologie auch jetzt etwas stiefmütterlich behandelt wurde! Der einzige
Vortheil, den der nachmalige Sprachgelehrte aus seinem Aufenthalt auf
der schwäbischen Hochschule zog, war der, daß er sich unter Ewald's Lei-
tung der Beschäftigung mit den orientalischen Sprachen zugewendet hatte.

Das akademische Triennium war zurückgelegt; Geld hatte es genug ge-
kostet, wenigstens hatte der Vater bei jeder Sendung, die er machen mußte,
Klagelieder angestimmt — aber gelernt war nicht viel, und das war gut
[Ende Spaltensatz]

*) „Schmiere“ ist Kunstausdruck für wandernde Schauspielertruppen.
**) Das „Nestroyanische Fach“: Komik in Nestroy's Genre.
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[191/0007] 191 Robe, hat das Kattunkleid Platz genommen, zerrissene Hosen und feine, neue Cylinderhüte, niedliche Jugendgesichter und leuchtende Kupfernasen, Chignons, Locken, gedrehte Schnurrbärte, ein Herr in leichter Sommertoilette und eine Dame im Pelzmantel, schwere Uhr- ketten von Talmigold und Siegelringe, die einen schmutzig grünen Reifen auf den Finger malen — das Alles hat sich vor unseren Augen in wirrem Durcheinander gruppirt, so daß wir vor allen Din- gen einige Zeit gebrauchen, um uns in dem buntbewegten Bilde zu orientiren. Wir finden die Meisten im Grunde genommen doch recht anständig gekleidet. Wenn die Mehrzahl der Männer auch schief- getretene Stiefel trägt, so haben doch nur Wenige durchsichtige Ell- bogen an den Röcken, oder Vatermörder, denen man es ansieht, daß sie ihr Besitzer denselben Morgen aus Briefpapier geschnitten. Sie rauchen auch; die Cigarette aus der Fabrik Laferme, die kurze Pfeife mit Porzellankopf, und alle dazwischen liegenden Abstufungen sind unter diesen Künstlern gern gesehen. Jn dem Dampf, der sich dabei ent- wickelt, schwinden die von uns entfernter sitzenden Gruppen allmälig immer mehr in eine nebelhafte Ferne, so daß wir gezwungen sind, uns mit der nächsten Umgebung zu beschäftigen und den Worten zu lauschen, die wir von unserer Tischgesellschaft hören. Ein junger Mann, der sein „seelenvolles“ Auge fortdauernd wild in den Höhlen rollen läßt und mit der Hand während einer Minute wohl zehnmal durch sein schwarzes, mähnenartiges Haar fährt, lamen- tirt den Kollegen etwas vor. „Jch habe eine Thorheit begangen; im vorigen Jahre sollte ich bei der kaiserlichen Oper debütiren, aber ich hatte meinen Kopf d'rauf gesetzt, ich wollte Schauspieler sein, ich mochte nicht singen; es war, wie gesagt, eine Dummheit, mit meinem ochsigen Baß hätte ich Furore gemacht!“ „Ja, das Glück kommt nur einmal“, flötet eine Dame. „Als ich mit meiner Freundin, der Bettelheim, zusammen die Afrikanerin einstudirte, sollte ich durchaus die Selika übernehmen, aber ich trat ihr die Rolle ab, obgleich sie für meine Stimmlage besser paßte; sie ist bei der Selika eine berühmte Künstlerin geworden, und ich habe die letzte Saison bei einer Schmiere *) singen müssen.“ „Jch hatte mich eigentlich für's Nestroyanische Fach **) ausgebildet, aber da sah mich ein alter Freund, der Direktor in Magdeburg, mit dem ich auf Du stehe, als ich zufällig für einen Kollegen den Hamlet machte. Der ließ mir nicht eher Ruhe, als bis ich mit ihm ging, und seitdem spiele ich nur klassische Rollen“, erzählt ein ziemlich schäbig gekleideter Mann, der noch mehr von seiner Künstlerlaufbahn zum Besten gegeben hätte, wenn ihm nicht in demselben Augenblick ein neuer Ankömmling auf die Schulter geklopft und ihn vertraulich ge- fragt hätte: „Grüß Gott, Nazi! Bist Du denn nicht mehr Souffleur beim Direktor Stupintschka?“ So geht die Unterhaltung weiter. Jeder Einzelne sucht den An- dern durch seine Bekanntschaften, durch seine Leistungen, durch die von ihm ausgeschlagenen Engagementsanerbieten zu imponiren. Dabei wird, um den volksthümlichen Ausdruck zu brauchen, das Blaue vom Himmel heruntergelogen, und wahrhaftig, nach dem Dichterwort sind diese Herren und Damen unter allen Umständen nicht in die Kate- gorie der „Lumpe“ zu rechnen, denn sie kennen das Wort „ Bescheiden- heit “ wohl kaum, der Begriff ist ihnen wenigstens sicher verloren gegangen, das Geringste, was man zu hören bekommt, lautet etwa: Ja der Krastel, der La Roche, das sind große Künstler, aber ich bin auch nicht übel!“ Doch jetzt ändert sich die Scene, eine Bewegung, ein Flüstern zieht durch die Gruppen, welche den „Wasen“ lebendig machen; auch uns raunt einer der Mimen einige Worte in's Ohr: „Es sind Direktoren angekommen!“ Es ist so, wie der Mann sagte, und nun beginnt das eigentliche Geschäft. Mit Kennermiene blicken die Herren Direktoren um sich, zwei kleine, ziemlich wohlgenährte Kerle mit verschmitzten Gesichtern, die vorläufig nur Bekanntschaften machen zu wollen scheinen. Diesen oder jenen, den sie in früherer Zeit schon einmal engagirt oder wenig- stens gesehen haben mögen, reden sie wohl an, aber sie lassen sich noch nicht auf längere Gespräche ein, sie warten noch auf Kollegen. Die Letzteren treffen dann auch nach und nach ein, sogar eine Direktorin, ein Weib, der man die „böse Sieben“ schon auf fünfzig Schritte Ent- fernung ansieht. Jnzwischen ist die Unterhaltung im ganzen Lokal verändert. Der langhaarige Jüngling mit dem „ochsigen“ Baß redet jetzt nur in Citaten. Der Kellner bringt ihm das frisch bestellte „Krügl Lager“ nicht rasch genug, da schreit er dem Säumenden zu: „Schurke, es soll mich kitzeln, mit Dir verdammt zu sein!“ Er wirft einen Cigarrenstumpf fort mit den Worten: „Der Mohr hat seine Schul- digkeit gethan, der Mohr kann gehen!“ Sein letztes Engagement war der „Winter seines Mißvergnügens“, er befand sich dabei „unter Larven die einzige fühlende Brust“, der Direktor war dort „ein kon- fiszirter widriger Kerl, als hätte ihn irgend ein Schleichhändler in die Welt hineingeschleudert“ u. s. f. Der junge Mann erreicht auf diese Weise wirklich seinen Zweck, er macht die Frau Direktorin auf sich aufmerksam, und diese findet, daß der Mensch mit dem „seelenvollen“ Auge „zum Romeo geboren“ sei; sie nimmt an seiner Seite Platz und spricht, leise flüsternd, mit ihm. Jn weniger als einer Viertel- stunde hat sie sich von den Vorzügen des vielbelesenen Mimen über- zeugt, sie hat dabei Hände, Augen und Ohren gebraucht, sie weiß jetzt, daß jener in Tricots „sehr schön ausschau'n“ müsse, und — „das lieben unsere Madeln“, wie sie sagt. Das Geschäft ist bald abgeschlossen, der Romeo ist für die Bühne von Kloster=Neuburg mit zwanzig Gulden monatlich engagirt, und um ihre „Generosität“ zu zeigen, ruft die Direktorin den Kellner, bei dem sie ihrem neuen Untergebenen ein „Schnitzl“ und ein Seidel Wein bestellt. Eine andere Taktik, als der junge Mann, verfolgt die „Freundin der Bettelheim“. Sie kramt vor sich ein Packet alter Zeitungen aus: Mährischer Korrespondent, Jglauer Sonntagsblatt, Egerer Bote, Reichenberger Anzeiger, Linzer Tagespost u. s. w. Das sind die Ver- kündiger ihres Ruhms, darin kann man lesen, wie oft sie von den lampenbeleuchteten Brettern herab die Menschheit entzückt hat. Nach den Rezensionen der Provinzialkritiker zu urtheilen, muß sie eine große Künstlerin sein. Das meint wenigstens der Direktor, der ihr fünf- undzwanzig Gulden monatlich bietet, und sogar noch fünf zulegt, als er erfährt, daß sie auch in „Hosenrollen à la Grobecker“ mache. Wieder andere Jünger und Jüngerinnen der Kunst setzen sich schweigend auf ihren Stuhl, stolz in die Welt hinausblickend mit dem Gefühl, daß es ihnen nicht fehlen könne. Das sind die „ersten Helden“, die „ersten Liebhaberinnen“ , die zu stolz sind, die Auf- merksamkeit auf sich zu lenken. Jhre Course stehen ziemlich hoch, am höchsten in der ganzen Gesellschaft; eine „Cameliendame“ wird mit fünfundsiebzig Gulden notirt, ein „Faust“ mit achtzig, eine „schöne Helena“ geht sogar mit neunzig Gulden monatlich ab. So wiederholt sich derselbe Handel vom Morgen bis zum Abend während der ersten Tage der Komödiantenbörsenwoche. Jn den letzten Tagen dagegen nimmt das Bild eine ganz andere Physiognomie an. Diejenigen, die noch nicht zu der niedrigsten Klasse der Mimen ge- hören, sind engagirt, nur noch die Hefe ist übrig geblieben. Diese haben ihr Lebelang nur „in Schmieren gearbeitet“, sie besitzen indessen ohne Ausnahme eine seltene Vielseitigkeit, sie übernehmen nicht nur jede Rolle, sondern sind auch bereit, als Orchestermitglieder, Deko- rationsmaler, sogar als Theaterschneider sich engagiren zu lassen. Was jetzt noch im „Wasen“ zu finden ist, gehört ohne Ausnahme in die Klasse der lärmenden Histrionen, dramatischen Trunkenbolde und brutalen Pumper, die mit Jedem Brüderschaft machen wollen, dem Fremden sein Bier austrinken oder ihn um eine Cigarre anbetteln. Aber auch diese „Theaterleut'“ finden schließlich größtentheils noch ein Unterkommen, nur wenige bleiben bis zum Ostersonntag ohne Enga- gement im „Wasen“, um dann mit stiller Resignation sich Tagelöhner- arbeit in der Kaiserstadt zu suchen oder als bettelnde Renommisten unter dem Namen „vagirende Künstler“ durch das Land zu „fechten“. Am Mittag des Ostersonntag ist endlich Alles in alle Winde aus- einander gestoben, Jeder ist auf der Fahrt oder auf dem Marsch nach seinem neuen Bestimmungsort, denn am Ostermontag beginnt die Saison, da werden überall die Theater wieder eröffnet. Ein Jahr lang treiben die „Künstler“ dann ihr Wesen bei den Bühnen und Bühnchen in Böhmen, Mähren, Steiermark, Salzburg, sogar im fernen siebenbürgischen Sachsen; ist aber das Jahr vorüber, dann zieht es sie wieder nach der Kaiserstadt, und dann finden wir Alle, die wir diesmal im „Wasen“ gesehen, mit demselben stolzen Künstler- bewußtsein dort wieder, wenn nicht inzwischen dieser oder jener in irgend einem Krankenhause in der Ferne gestorben oder auf andere Weise gänzlich verdorben ist. Ein deutscher Sprachforscher. ( Schluß ) . Jn Tübingen sollte nun ernstlich studirt werden, aber das Bier war zu gut, der „Füchse“ gab es so viele, auf deren „Bude“ nach der Polizei- stunde noch ein Fäßchen zu leeren war, an frühes Aufstehen war demnach nicht zu denken, Händel gab's auch wieder auszupauken — einige, wenn auch gut vernarbte, Zeichen dieser Thätigkeit und ihrer Folgen blieben auf Schleicher's Stirn immer sichtbar — was Wunder, wenn die liebe Theologie auch jetzt etwas stiefmütterlich behandelt wurde! Der einzige Vortheil, den der nachmalige Sprachgelehrte aus seinem Aufenthalt auf der schwäbischen Hochschule zog, war der, daß er sich unter Ewald's Lei- tung der Beschäftigung mit den orientalischen Sprachen zugewendet hatte. Das akademische Triennium war zurückgelegt; Geld hatte es genug ge- kostet, wenigstens hatte der Vater bei jeder Sendung, die er machen mußte, Klagelieder angestimmt — aber gelernt war nicht viel, und das war gut *) „Schmiere“ ist Kunstausdruck für wandernde Schauspielertruppen. **) Das „Nestroyanische Fach“: Komik in Nestroy's Genre.

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 24. Berlin, 13. Juni 1869, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt24_1869/7>, abgerufen am 01.06.2024.