kommen soll -- kann sich leicht denken, über wen das Wochenbuch geführet werde; nicht über mich. Ein Tagebuch über sich macht jeder Dinten-Mann schon an und für sich, wenn er seine opera om¬ nia schreibt; bei einem Schauspieler sinds die Komödienzettel; bei einem Zeitungsschreiber die Jahrgänge voll Welthändel; bei einem Kaufmann das Korrespondenzbuch; bei einem Historienmah¬ ler seine historischen Stücke; Angelus de Con¬ stantio, der an seiner storia de regno di Napoli 53 Jahre verschrieb, konnte bei jeder Reichsbege¬ benheit sich die seinigen obwohl nur auf 53 Jahre denken; und so schreibt jeder Verfasser einer Welt¬ geschichte damit seine eigne mit unsichtbarer Dinte dazwischen, weil er an die Eroberungen, innern Unruhen und Wanderungen der Völker seine eignen herrlich knüpfen kann. Wer aber nichts hat und thut, woran er seine Empfindungen bindet, als wieder Empfindungen: der nehme Lang- und Queerfolio-Papier und bringe sie dazu, nämlich zu Papier. Nur wird er Danaiden- und Teufels¬ arbeit haben; während er schreibt, fällt wieder etwas in ihm vor, es sei eine Empfindung oder
kommen ſoll — kann ſich leicht denken, uͤber wen das Wochenbuch gefuͤhret werde; nicht uͤber mich. Ein Tagebuch uͤber ſich macht jeder Dinten-Mann ſchon an und fuͤr ſich, wenn er ſeine opera om¬ nia ſchreibt; bei einem Schauſpieler ſinds die Komoͤdienzettel; bei einem Zeitungsſchreiber die Jahrgaͤnge voll Welthaͤndel; bei einem Kaufmann das Korreſpondenzbuch; bei einem Hiſtorienmah¬ ler ſeine hiſtoriſchen Stuͤcke; Angelus de Con¬ stantio, der an ſeiner ſtoria de regno di Napoli 53 Jahre verſchrieb, konnte bei jeder Reichsbege¬ benheit ſich die ſeinigen obwohl nur auf 53 Jahre denken; und ſo ſchreibt jeder Verfaſſer einer Welt¬ geſchichte damit ſeine eigne mit unſichtbarer Dinte dazwiſchen, weil er an die Eroberungen, innern Unruhen und Wanderungen der Voͤlker ſeine eignen herrlich knuͤpfen kann. Wer aber nichts hat und thut, woran er ſeine Empfindungen bindet, als wieder Empfindungen: der nehme Lang- und Queerfolio-Papier und bringe ſie dazu, naͤmlich zu Papier. Nur wird er Danaiden- und Teufels¬ arbeit haben; waͤhrend er ſchreibt, faͤllt wieder etwas in ihm vor, es ſei eine Empfindung oder
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das Wochenbuch gefuͤhret werde; nicht uͤber mich.
Ein Tagebuch uͤber ſich macht jeder Dinten-Mann
ſchon an und fuͤr ſich, wenn er ſeine opera om¬
nia ſchreibt; bei einem Schauſpieler ſinds die
Komoͤdienzettel; bei einem Zeitungsſchreiber die
Jahrgaͤnge voll Welthaͤndel; bei einem Kaufmann
das Korreſpondenzbuch; bei einem Hiſtorienmah¬
ler ſeine hiſtoriſchen Stuͤcke; Angelus de Con¬
stantio, der an ſeiner ſtoria de regno di Napoli
53 Jahre verſchrieb, konnte bei jeder Reichsbege¬
benheit ſich die ſeinigen obwohl nur auf 53 Jahre
denken; und ſo ſchreibt jeder Verfaſſer einer Welt¬
geſchichte damit ſeine eigne mit unſichtbarer Dinte
dazwiſchen, weil er an die Eroberungen, innern
Unruhen und Wanderungen der Voͤlker ſeine eignen
herrlich knuͤpfen kann. Wer aber nichts hat und
thut, woran er ſeine Empfindungen bindet, als
wieder Empfindungen: der nehme Lang- und
Queerfolio-Papier und bringe ſie dazu, naͤmlich
zu Papier. Nur wird er Danaiden- und Teufels¬
arbeit haben; waͤhrend er ſchreibt, faͤllt wieder
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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/133>, abgerufen am 01.06.2024.
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