Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite

Schreiben des Gratulanten
welche sich derjenigen Jahre mit Wollust erinnern, da
sie der Gegenstand verliebter Seufzer und zärtlicher
Blicke gewesen, aber eben um deswillen ein gerechtes
Misfallen empfinden, da sie nunmehr ihre Schönheit
verschwunden, und sich von der Menge ihrer Anbeter
verlassen sehen. Wenn es so fortgeht, so muß ich der
unglücklichste Mensch auf der Welt werden. Nie-
mand verlangt etwas von meiner Waare. Man frei-
het, man stirbt, man wird geboren, und alles dieses
ohne mich. Nichts Böses soll man den Leuten wün-
schen; wünscht man ihnen aber etwas Gutes, so wird
es nicht bezahlt. Wo will hernach der Seegen her-
kommen? Und sind unsre verstockten Mitbürger nicht
selbst Schuld daran, wenn sie weder Stern noch Glück
haben? Gewiß, mein Herr Autor, ich fürchte, es sind
itzt die letzten Zeiten, und die Atheisterey, die Philoso-
phie, der Undank - - -. O mein Herr, die Haare stehen
mir zu Berge, wenn ich daran gedenke. Halten Sie
mir meinen Eifer zu gute! Jch eifre nicht für mich, ich
eifre für das Vaterland, für mein undankbares Va-
terland, welches sich um tausend gute Wünsche, und
mich um manchen Gulden bringt. Jch habe vielmals
den Einfall gehabt, ob es nicht billig wäre, daß die
Obrigkeit für die alten Poeten meiner Art eben die
Sorgfalt trüge, welche sie für abgedankte Soldaten,
oder für abgelebte Männer und Weiber hat. Sollte
es nicht dem gemeinen Wesen sehr vortheilhaft seyn,
wenn sie ein Gratulantenspital errichtete? Wenig-
stens sollte es mir ein besondres Vergnügen seyn, wenn
ich den vorüberreisenden Fremden die Allmosenbüchse
vorhalten, und ihnen, für ihre Gaben, Gottes reichen

Seegen

Schreiben des Gratulanten
welche ſich derjenigen Jahre mit Wolluſt erinnern, da
ſie der Gegenſtand verliebter Seufzer und zaͤrtlicher
Blicke geweſen, aber eben um deswillen ein gerechtes
Misfallen empfinden, da ſie nunmehr ihre Schoͤnheit
verſchwunden, und ſich von der Menge ihrer Anbeter
verlaſſen ſehen. Wenn es ſo fortgeht, ſo muß ich der
ungluͤcklichſte Menſch auf der Welt werden. Nie-
mand verlangt etwas von meiner Waare. Man frei-
het, man ſtirbt, man wird geboren, und alles dieſes
ohne mich. Nichts Boͤſes ſoll man den Leuten wuͤn-
ſchen; wuͤnſcht man ihnen aber etwas Gutes, ſo wird
es nicht bezahlt. Wo will hernach der Seegen her-
kommen? Und ſind unſre verſtockten Mitbuͤrger nicht
ſelbſt Schuld daran, wenn ſie weder Stern noch Gluͤck
haben? Gewiß, mein Herr Autor, ich fuͤrchte, es ſind
itzt die letzten Zeiten, und die Atheiſterey, die Philoſo-
phie, der Undank ‒ ‒ ‒. O mein Herr, die Haare ſtehen
mir zu Berge, wenn ich daran gedenke. Halten Sie
mir meinen Eifer zu gute! Jch eifre nicht fuͤr mich, ich
eifre fuͤr das Vaterland, fuͤr mein undankbares Va-
terland, welches ſich um tauſend gute Wuͤnſche, und
mich um manchen Gulden bringt. Jch habe vielmals
den Einfall gehabt, ob es nicht billig waͤre, daß die
Obrigkeit fuͤr die alten Poeten meiner Art eben die
Sorgfalt truͤge, welche ſie fuͤr abgedankte Soldaten,
oder fuͤr abgelebte Maͤnner und Weiber hat. Sollte
es nicht dem gemeinen Weſen ſehr vortheilhaft ſeyn,
wenn ſie ein Gratulantenſpital errichtete? Wenig-
ſtens ſollte es mir ein beſondres Vergnuͤgen ſeyn, wenn
ich den voruͤberreiſenden Fremden die Allmoſenbuͤchſe
vorhalten, und ihnen, fuͤr ihre Gaben, Gottes reichen

Seegen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div>
          <p><pb facs="#f0274" n="200"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Schreiben des Gratulanten</hi></fw><lb/>
welche &#x017F;ich derjenigen Jahre mit Wollu&#x017F;t erinnern, da<lb/>
&#x017F;ie der Gegen&#x017F;tand verliebter Seufzer und za&#x0364;rtlicher<lb/>
Blicke gewe&#x017F;en, aber eben um deswillen ein gerechtes<lb/>
Misfallen empfinden, da &#x017F;ie nunmehr ihre Scho&#x0364;nheit<lb/>
ver&#x017F;chwunden, und &#x017F;ich von der Menge ihrer Anbeter<lb/>
verla&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ehen. Wenn es &#x017F;o fortgeht, &#x017F;o muß ich der<lb/>
unglu&#x0364;cklich&#x017F;te Men&#x017F;ch auf der Welt werden. Nie-<lb/>
mand verlangt etwas von meiner Waare. Man frei-<lb/>
het, man &#x017F;tirbt, man wird geboren, und alles die&#x017F;es<lb/>
ohne mich. Nichts Bo&#x0364;&#x017F;es &#x017F;oll man den Leuten wu&#x0364;n-<lb/>
&#x017F;chen; wu&#x0364;n&#x017F;cht man ihnen aber etwas Gutes, &#x017F;o wird<lb/>
es nicht bezahlt. Wo will hernach der Seegen her-<lb/>
kommen? Und &#x017F;ind un&#x017F;re ver&#x017F;tockten Mitbu&#x0364;rger nicht<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t Schuld daran, wenn &#x017F;ie weder Stern noch Glu&#x0364;ck<lb/>
haben? Gewiß, mein Herr Autor, ich fu&#x0364;rchte, es &#x017F;ind<lb/>
itzt die letzten Zeiten, und die Athei&#x017F;terey, die Philo&#x017F;o-<lb/>
phie, der Undank &#x2012; &#x2012; &#x2012;. O mein Herr, die Haare &#x017F;tehen<lb/>
mir zu Berge, wenn ich daran gedenke. Halten Sie<lb/>
mir meinen Eifer zu gute! Jch eifre nicht fu&#x0364;r mich, ich<lb/>
eifre fu&#x0364;r das Vaterland, fu&#x0364;r mein undankbares Va-<lb/>
terland, welches &#x017F;ich um tau&#x017F;end gute Wu&#x0364;n&#x017F;che, und<lb/>
mich um manchen Gulden bringt. Jch habe vielmals<lb/>
den Einfall gehabt, ob es nicht billig wa&#x0364;re, daß die<lb/>
Obrigkeit fu&#x0364;r die alten Poeten meiner Art eben die<lb/>
Sorgfalt tru&#x0364;ge, welche &#x017F;ie fu&#x0364;r abgedankte Soldaten,<lb/>
oder fu&#x0364;r abgelebte Ma&#x0364;nner und Weiber hat. Sollte<lb/>
es nicht dem gemeinen We&#x017F;en &#x017F;ehr vortheilhaft &#x017F;eyn,<lb/>
wenn &#x017F;ie ein Gratulanten&#x017F;pital errichtete? Wenig-<lb/>
&#x017F;tens &#x017F;ollte es mir ein be&#x017F;ondres Vergnu&#x0364;gen &#x017F;eyn, wenn<lb/>
ich den voru&#x0364;berrei&#x017F;enden Fremden die Allmo&#x017F;enbu&#x0364;ch&#x017F;e<lb/>
vorhalten, und ihnen, fu&#x0364;r ihre Gaben, Gottes reichen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Seegen</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[200/0274] Schreiben des Gratulanten welche ſich derjenigen Jahre mit Wolluſt erinnern, da ſie der Gegenſtand verliebter Seufzer und zaͤrtlicher Blicke geweſen, aber eben um deswillen ein gerechtes Misfallen empfinden, da ſie nunmehr ihre Schoͤnheit verſchwunden, und ſich von der Menge ihrer Anbeter verlaſſen ſehen. Wenn es ſo fortgeht, ſo muß ich der ungluͤcklichſte Menſch auf der Welt werden. Nie- mand verlangt etwas von meiner Waare. Man frei- het, man ſtirbt, man wird geboren, und alles dieſes ohne mich. Nichts Boͤſes ſoll man den Leuten wuͤn- ſchen; wuͤnſcht man ihnen aber etwas Gutes, ſo wird es nicht bezahlt. Wo will hernach der Seegen her- kommen? Und ſind unſre verſtockten Mitbuͤrger nicht ſelbſt Schuld daran, wenn ſie weder Stern noch Gluͤck haben? Gewiß, mein Herr Autor, ich fuͤrchte, es ſind itzt die letzten Zeiten, und die Atheiſterey, die Philoſo- phie, der Undank ‒ ‒ ‒. O mein Herr, die Haare ſtehen mir zu Berge, wenn ich daran gedenke. Halten Sie mir meinen Eifer zu gute! Jch eifre nicht fuͤr mich, ich eifre fuͤr das Vaterland, fuͤr mein undankbares Va- terland, welches ſich um tauſend gute Wuͤnſche, und mich um manchen Gulden bringt. Jch habe vielmals den Einfall gehabt, ob es nicht billig waͤre, daß die Obrigkeit fuͤr die alten Poeten meiner Art eben die Sorgfalt truͤge, welche ſie fuͤr abgedankte Soldaten, oder fuͤr abgelebte Maͤnner und Weiber hat. Sollte es nicht dem gemeinen Weſen ſehr vortheilhaft ſeyn, wenn ſie ein Gratulantenſpital errichtete? Wenig- ſtens ſollte es mir ein beſondres Vergnuͤgen ſeyn, wenn ich den voruͤberreiſenden Fremden die Allmoſenbuͤchſe vorhalten, und ihnen, fuͤr ihre Gaben, Gottes reichen Seegen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/274
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/274>, abgerufen am 20.05.2024.