hat niemals so beißend gegen Jhre Freundinn dergleichen Worte, die bey einem erbitterten Ge- müthe und einem verrückten Kopfe geschrieben sind, wiederholen können. Sie ist auch nimmer- mehr im Stande gewesen, Jhrer Freundinn mit unfreundlicher Härte und untermengten witzigen Stichen einen Entscheidungsgrund wieder zu Gemüthe zu führen, der vormals von ihr gebrau- chet worden, als ihr Herz in Lust und Fröhlich- keit durch gute Tage aufgeblasen war, wie es meinem Herzen damals ging, und gar nicht be- fürchtete, daß eben der Grund einstens so strenge gegen sie selbst angewandt werden möchte.
Allein wie schickt es sich; da meine Glücks- umstände verschwunden sind; da mein guter Na- me verscherzet, meine Ehre verlohren ist; denn weil ich es weiß, bekümmere ich mich nicht dar- um, wer es mehr wisse; da ich aller Freunde, ja gar aller Hoffnung beraubet bin; wie schickt es sich, daß ich gegen eine werthe Freundinn mit hitzigem Muthe deswegen murre und mich be- schwere, weil Sie nicht gütiger ist, als eine leib- liche Schwester? - -
Jch finde bey der aufsteigenden Bitterkeit, die sich mit der Galle in meiner Dinte vermi- schen will, daß ich noch nicht genug nach meinen Umständen gedemüthiget bin. Daher bitte ich Sie um Verzeihung, daß ich meine Hoffnung zu einiger erwarteten Gewogenheit vielmehr auf die zärtliche Liebe, die Sie mir sonst zu bezeigen pflegten, als auf das, was ich
nun
hat niemals ſo beißend gegen Jhre Freundinn dergleichen Worte, die bey einem erbitterten Ge- muͤthe und einem verruͤckten Kopfe geſchrieben ſind, wiederholen koͤnnen. Sie iſt auch nimmer- mehr im Stande geweſen, Jhrer Freundinn mit unfreundlicher Haͤrte und untermengten witzigen Stichen einen Entſcheidungsgrund wieder zu Gemuͤthe zu fuͤhren, der vormals von ihr gebrau- chet worden, als ihr Herz in Luſt und Froͤhlich- keit durch gute Tage aufgeblaſen war, wie es meinem Herzen damals ging, und gar nicht be- fuͤrchtete, daß eben der Grund einſtens ſo ſtrenge gegen ſie ſelbſt angewandt werden moͤchte.
Allein wie ſchickt es ſich; da meine Gluͤcks- umſtaͤnde verſchwunden ſind; da mein guter Na- me verſcherzet, meine Ehre verlohren iſt; denn weil ich es weiß, bekuͤmmere ich mich nicht dar- um, wer es mehr wiſſe; da ich aller Freunde, ja gar aller Hoffnung beraubet bin; wie ſchickt es ſich, daß ich gegen eine werthe Freundinn mit hitzigem Muthe deswegen murre und mich be- ſchwere, weil Sie nicht guͤtiger iſt, als eine leib- liche Schweſter? ‒ ‒
Jch finde bey der aufſteigenden Bitterkeit, die ſich mit der Galle in meiner Dinte vermi- ſchen will, daß ich noch nicht genug nach meinen Umſtaͤnden gedemuͤthiget bin. Daher bitte ich Sie um Verzeihung, daß ich meine Hoffnung zu einiger erwarteten Gewogenheit vielmehr auf die zaͤrtliche Liebe, die Sie mir ſonſt zu bezeigen pflegten, als auf das, was ich
nun
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0094"n="88"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
hat niemals ſo <hirendition="#fr">beißend</hi> gegen Jhre Freundinn<lb/>
dergleichen Worte, die bey einem erbitterten Ge-<lb/>
muͤthe und einem verruͤckten Kopfe geſchrieben<lb/>ſind, wiederholen koͤnnen. Sie iſt auch nimmer-<lb/>
mehr im Stande geweſen, Jhrer Freundinn mit<lb/>
unfreundlicher Haͤrte und untermengten witzigen<lb/>
Stichen einen Entſcheidungsgrund wieder zu<lb/>
Gemuͤthe zu fuͤhren, der vormals von ihr gebrau-<lb/>
chet worden, als ihr Herz in Luſt und Froͤhlich-<lb/>
keit durch gute Tage aufgeblaſen war, wie es<lb/>
meinem Herzen damals ging, und gar nicht be-<lb/>
fuͤrchtete, daß eben der Grund einſtens ſo ſtrenge<lb/>
gegen ſie ſelbſt angewandt werden moͤchte.</p><lb/><p>Allein wie ſchickt es ſich; da meine Gluͤcks-<lb/>
umſtaͤnde verſchwunden ſind; da mein guter Na-<lb/>
me verſcherzet, meine Ehre verlohren iſt; denn<lb/>
weil ich es weiß, bekuͤmmere ich mich nicht dar-<lb/>
um, <hirendition="#fr">wer</hi> es mehr wiſſe; da ich aller Freunde, ja<lb/>
gar aller Hoffnung beraubet bin; wie ſchickt es<lb/>ſich, daß ich gegen eine werthe Freundinn mit<lb/>
hitzigem Muthe deswegen murre und mich be-<lb/>ſchwere, weil Sie nicht <hirendition="#fr">guͤtiger</hi> iſt, als eine leib-<lb/>
liche Schweſter? ‒‒</p><lb/><p>Jch finde bey der aufſteigenden Bitterkeit,<lb/>
die ſich mit der Galle in meiner Dinte vermi-<lb/>ſchen will, daß ich noch nicht genug nach<lb/>
meinen Umſtaͤnden gedemuͤthiget bin. Daher<lb/>
bitte ich Sie um Verzeihung, daß ich meine<lb/>
Hoffnung zu einiger erwarteten Gewogenheit<lb/>
vielmehr auf die zaͤrtliche Liebe, die Sie mir<lb/>ſonſt zu bezeigen <hirendition="#fr">pflegten,</hi> als auf das, was ich<lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">nun</hi></fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[88/0094]
hat niemals ſo beißend gegen Jhre Freundinn
dergleichen Worte, die bey einem erbitterten Ge-
muͤthe und einem verruͤckten Kopfe geſchrieben
ſind, wiederholen koͤnnen. Sie iſt auch nimmer-
mehr im Stande geweſen, Jhrer Freundinn mit
unfreundlicher Haͤrte und untermengten witzigen
Stichen einen Entſcheidungsgrund wieder zu
Gemuͤthe zu fuͤhren, der vormals von ihr gebrau-
chet worden, als ihr Herz in Luſt und Froͤhlich-
keit durch gute Tage aufgeblaſen war, wie es
meinem Herzen damals ging, und gar nicht be-
fuͤrchtete, daß eben der Grund einſtens ſo ſtrenge
gegen ſie ſelbſt angewandt werden moͤchte.
Allein wie ſchickt es ſich; da meine Gluͤcks-
umſtaͤnde verſchwunden ſind; da mein guter Na-
me verſcherzet, meine Ehre verlohren iſt; denn
weil ich es weiß, bekuͤmmere ich mich nicht dar-
um, wer es mehr wiſſe; da ich aller Freunde, ja
gar aller Hoffnung beraubet bin; wie ſchickt es
ſich, daß ich gegen eine werthe Freundinn mit
hitzigem Muthe deswegen murre und mich be-
ſchwere, weil Sie nicht guͤtiger iſt, als eine leib-
liche Schweſter? ‒ ‒
Jch finde bey der aufſteigenden Bitterkeit,
die ſich mit der Galle in meiner Dinte vermi-
ſchen will, daß ich noch nicht genug nach
meinen Umſtaͤnden gedemuͤthiget bin. Daher
bitte ich Sie um Verzeihung, daß ich meine
Hoffnung zu einiger erwarteten Gewogenheit
vielmehr auf die zaͤrtliche Liebe, die Sie mir
ſonſt zu bezeigen pflegten, als auf das, was ich
nun
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/94>, abgerufen am 31.10.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.