sogar einige sehr allgemein lautende Stellen des Römi- schen Rechts, wodurch man versuchen könnte, diese Ver- gleichung zu unterstützen (a).
Allein bey genauerer Betrachtung muß dennoch diese Gleichstellung gänzlich aufgegeben werden. Wenn wir sagen, die irrige Vorstellung habe den Willen bestimmt, so ist dieses nur in einem sehr uneigentlichen Sinne anzu- nehmen. Immer war es der Handelnde selbst, der dem Irrthum diese bestimmende Kraft einräumte. Die Frey- heit seiner Wahl zwischen entgegengesetzten Entschlüssen war unbeschränkt; welche Vortheile ihm der Irrthum auch vorspiegeln mochte, er konnte sie verwerfen, und durch den Einfluß jener irrigen Vorstellungen ist daher das Daseyn der freyen Willenserklärung keinesweges aufge- hoben. Die richtige Auffassung der Frage beruht also auf der scharfen Unterscheidung des Wollens selbst, von Demjenigen was ihm in der Seele des Wollenden vor- herging; das Wollen ist eine selbstständige Thatsache, die allein für die Bildung der Rechtsverhältnisse von Wich- tigkeit ist, und es ist ganz willkührlich und grundlos, wenn wir mit dieser Thatsache jenen vorbereitenden Prozeß so verbinden, als ob derselbe ein Bestandtheil ihres Wesens wäre. Auch ist hier der Schein für eine entgegengesetzte Ansicht weit geringer, als im Fall des Zwanges; sie hat
(a)L. 20 de aqua et aq. pluv. (39. 3.) "nulla enim voluntas errantis est." Eben so mehrere andere Stellen. Vgl. Beyl. VIII. Num. VII.
III. 8
§. 115. Zwang und Irrthum. (Fortſetzung.)
ſogar einige ſehr allgemein lautende Stellen des Römi- ſchen Rechts, wodurch man verſuchen könnte, dieſe Ver- gleichung zu unterſtützen (a).
Allein bey genauerer Betrachtung muß dennoch dieſe Gleichſtellung gänzlich aufgegeben werden. Wenn wir ſagen, die irrige Vorſtellung habe den Willen beſtimmt, ſo iſt dieſes nur in einem ſehr uneigentlichen Sinne anzu- nehmen. Immer war es der Handelnde ſelbſt, der dem Irrthum dieſe beſtimmende Kraft einräumte. Die Frey- heit ſeiner Wahl zwiſchen entgegengeſetzten Entſchlüſſen war unbeſchränkt; welche Vortheile ihm der Irrthum auch vorſpiegeln mochte, er konnte ſie verwerfen, und durch den Einfluß jener irrigen Vorſtellungen iſt daher das Daſeyn der freyen Willenserklärung keinesweges aufge- hoben. Die richtige Auffaſſung der Frage beruht alſo auf der ſcharfen Unterſcheidung des Wollens ſelbſt, von Demjenigen was ihm in der Seele des Wollenden vor- herging; das Wollen iſt eine ſelbſtſtändige Thatſache, die allein für die Bildung der Rechtsverhältniſſe von Wich- tigkeit iſt, und es iſt ganz willkührlich und grundlos, wenn wir mit dieſer Thatſache jenen vorbereitenden Prozeß ſo verbinden, als ob derſelbe ein Beſtandtheil ihres Weſens wäre. Auch iſt hier der Schein für eine entgegengeſetzte Anſicht weit geringer, als im Fall des Zwanges; ſie hat
(a)L. 20 de aqua et aq. pluv. (39. 3.) „nulla enim voluntas errantis est.” Eben ſo mehrere andere Stellen. Vgl. Beyl. VIII. Num. VII.
III. 8
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§. 115. Zwang und Irrthum. (Fortſetzung.)
ſogar einige ſehr allgemein lautende Stellen des Römi-
ſchen Rechts, wodurch man verſuchen könnte, dieſe Ver-
gleichung zu unterſtützen (a).
Allein bey genauerer Betrachtung muß dennoch dieſe
Gleichſtellung gänzlich aufgegeben werden. Wenn wir
ſagen, die irrige Vorſtellung habe den Willen beſtimmt,
ſo iſt dieſes nur in einem ſehr uneigentlichen Sinne anzu-
nehmen. Immer war es der Handelnde ſelbſt, der dem
Irrthum dieſe beſtimmende Kraft einräumte. Die Frey-
heit ſeiner Wahl zwiſchen entgegengeſetzten Entſchlüſſen
war unbeſchränkt; welche Vortheile ihm der Irrthum auch
vorſpiegeln mochte, er konnte ſie verwerfen, und durch
den Einfluß jener irrigen Vorſtellungen iſt daher das
Daſeyn der freyen Willenserklärung keinesweges aufge-
hoben. Die richtige Auffaſſung der Frage beruht alſo
auf der ſcharfen Unterſcheidung des Wollens ſelbſt, von
Demjenigen was ihm in der Seele des Wollenden vor-
herging; das Wollen iſt eine ſelbſtſtändige Thatſache, die
allein für die Bildung der Rechtsverhältniſſe von Wich-
tigkeit iſt, und es iſt ganz willkührlich und grundlos, wenn
wir mit dieſer Thatſache jenen vorbereitenden Prozeß ſo
verbinden, als ob derſelbe ein Beſtandtheil ihres Weſens
wäre. Auch iſt hier der Schein für eine entgegengeſetzte
Anſicht weit geringer, als im Fall des Zwanges; ſie hat
(a) L. 20 de aqua et aq. pluv.
(39. 3.) „nulla enim voluntas
errantis est.” Eben ſo mehrere
andere Stellen. Vgl. Beyl. VIII.
Num. VII.
III. 8
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/125>, abgerufen am 31.10.2024.
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