drauf, indem sie gegen Abend ein würckliches Fieber bekam, da denn der abwechselende Frost und Hitze die gantze Nacht hindurch währete, weßwegen mir von Hertzen angst und bange wurde, so daß ich mei- ne eigene Schmertzen noch lange nicht so hefftig als der Concordiae Zufall empfand.
Von Artzeneyen war zwar annoch ein sehr weni- ges vorhanden, allein wie konte ich wagen ihr selbi- ges einzugeben? da ich nicht den geringsten Ver- stand oder Nachricht hatte, ob ich meiner Patientin damit helffen oder schaden könte. Gewiß es war ein starckes Versehen von Mons. van Leuven ge- wesen, daß er sich nicht mit einem bessern Vorrath von Artzeneyen versorgt hatte, doch es kan auch seyn, daß selbige mit verdorben waren, genung, ich wuste die gantze Nacht nichts zu thun, als auf den Knien bey der Concordia zu sitzen/ ihr den kalten Schweiß von Gesicht und Händen zu wischen, dann und wann kühlende Blätter auf ihre Stirn und Arme zu bin- den, nächst dem den allerhöchsten Artzt um unmittel- bare kräfftige Hülffe anzuflehen. Gegen Morgen hatte sie zwar so wohl als ich etwa 3. Stunden Schlaff, allein die vorige Hitze stellete sich Vormit- tags desto hefftiger wieder ein. Die arme kleine Concordia fieng nunmehro auch, wie ich glaube vor Hunger und Durst, erbärmlich an zu schreyen, verdoppelte also unser Hertzeleyd auf jämmerliche Art, indem sie von ihrer Mutter nicht einen Tropf- fen Nahrungs-Safft erhalten konte. Es war mir allbereit in die Gedancken kommen, ein paar mel- ckende Ziegen einzufangen, allein auch diese Thiere waren durch das öfftere Schiessen dermassen wild
worden,
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drauf, indem ſie gegen Abend ein wuͤrckliches Fieber bekam, da denn der abwechſelende Froſt und Hitze die gantze Nacht hindurch waͤhrete, weßwegen mir von Hertzen angſt und bange wurde, ſo daß ich mei- ne eigene Schmertzen noch lange nicht ſo hefftig als der Concordiæ Zufall empfand.
Von Artzeneyen war zwar annoch ein ſehr weni- ges vorhanden, allein wie konte ich wagen ihr ſelbi- ges einzugeben? da ich nicht den geringſten Ver- ſtand oder Nachricht hatte, ob ich meiner Patientin damit helffen oder ſchaden koͤnte. Gewiß es war ein ſtarckes Verſehen von Monſ. van Leuven ge- weſen, daß er ſich nicht mit einem beſſern Vorrath von Artzeneyen verſorgt hatte, doch es kan auch ſeyn, daß ſelbige mit verdorben waren, genung, ich wuſte die gantze Nacht nichts zu thun, als auf den Knien bey der Concordia zu ſitzen/ ihr den kalten Schweiß von Geſicht und Haͤnden zu wiſchen, dann und wañ kuͤhlende Blaͤtter auf ihre Stirn und Arme zu bin- den, naͤchſt dem den allerhoͤchſten Artzt um unmittel- bare kraͤfftige Huͤlffe anzuflehen. Gegen Morgen hatte ſie zwar ſo wohl als ich etwa 3. Stunden Schlaff, allein die vorige Hitze ſtellete ſich Vormit- tags deſto hefftiger wieder ein. Die arme kleine Concordia fieng nunmehro auch, wie ich glaube vor Hunger und Durſt, erbaͤrmlich an zu ſchreyen, verdoppelte alſo unſer Hertzeleyd auf jaͤmmerliche Art, indem ſie von ihrer Mutter nicht einen Tropf- fen Nahrungs-Safft erhalten konte. Es war mir allbereit in die Gedancken kommen, ein paar mel- ckende Ziegen einzufangen, allein auch dieſe Thiere waren durch das oͤfftere Schieſſen dermaſſen wild
worden,
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drauf, indem ſie gegen Abend ein wuͤrckliches Fieber
bekam, da denn der abwechſelende Froſt und Hitze
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von Hertzen angſt und bange wurde, ſo daß ich mei-
ne eigene Schmertzen noch lange nicht ſo hefftig als
der Concordiæ Zufall empfand.
Von Artzeneyen war zwar annoch ein ſehr weni-
ges vorhanden, allein wie konte ich wagen ihr ſelbi-
ges einzugeben? da ich nicht den geringſten Ver-
ſtand oder Nachricht hatte, ob ich meiner Patientin
damit helffen oder ſchaden koͤnte. Gewiß es war
ein ſtarckes Verſehen von Monſ. van Leuven ge-
weſen, daß er ſich nicht mit einem beſſern Vorrath
von Artzeneyen verſorgt hatte, doch es kan auch ſeyn,
daß ſelbige mit verdorben waren, genung, ich wuſte
die gantze Nacht nichts zu thun, als auf den Knien
bey der Concordia zu ſitzen/ ihr den kalten Schweiß
von Geſicht und Haͤnden zu wiſchen, dann und wañ
kuͤhlende Blaͤtter auf ihre Stirn und Arme zu bin-
den, naͤchſt dem den allerhoͤchſten Artzt um unmittel-
bare kraͤfftige Huͤlffe anzuflehen. Gegen Morgen
hatte ſie zwar ſo wohl als ich etwa 3. Stunden
Schlaff, allein die vorige Hitze ſtellete ſich Vormit-
tags deſto hefftiger wieder ein. Die arme kleine
Concordia fieng nunmehro auch, wie ich glaube
vor Hunger und Durſt, erbaͤrmlich an zu ſchreyen,
verdoppelte alſo unſer Hertzeleyd auf jaͤmmerliche
Art, indem ſie von ihrer Mutter nicht einen Tropf-
fen Nahrungs-Safft erhalten konte. Es war mir
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1731 erschien die Erstausgabe. Die zweite Auflage… [mehr]
1731 erschien die Erstausgabe. Die zweite Auflage folgte schon 1732. Zum Zeitpunkt der Digitalisierung stand nur die dritte Auflage von 1740 zur Verfügung. (Link zur Erstausgabe: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:3:1-459276)
Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/243>, abgerufen am 01.11.2024.
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