Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

sie, den Ort zu verlassen. Man mußte Gewalt
brauchen, und reizte sie dadurch zur ächten Ra-
serei des Wahnsinns, die nur dann endete,
wenn man ihr versprach, sie bald wieder in ihr
Brautbette zu führen. Sie sprach nur von
diesem, alle ihre Ideen und Gedanken beschäf-
tigten sich einzig damit, man mußte sie jeden
Tag dahin leiten, wenn man nicht tödliche Ra-
serei in ihrem Herzen erregen wollte. Sie ver-
gaß bald ganz ihres Hugos, gedachte seiner nie
mehr, und schien auch alle andere Begebenhei-
ten ihres Lebens vergessen zu haben.

Nach fünf Monden kehrte Hugo mit seinem
Vater zurück. Freude und Wonne glänzte in
seinem Gesichte, der Pabst hatte sein Flehen er-
hört, ihm fernere Ehe mit seiner Stiefschwester
gestattet, wenn er dagegen eine Kirche baue,
und eines seiner Kinder dem Herrn widme.
Freude und Wonne wandelte sich aber bald in
Leid und Jammer, als er sich überzeugte, daß
seine Kleta ihn nicht mehr kenne, und ein Raub
des Wahnsinnes geworden sey. Er hofte ver-
gebens daß seine Gegenwart, die Versicherung
ihres Glücks sie heilen würde, sie schien seine
Trostgründe nicht zu hören, und war nie zu be-

ſie, den Ort zu verlaſſen. Man mußte Gewalt
brauchen, und reizte ſie dadurch zur aͤchten Ra-
ſerei des Wahnſinns, die nur dann endete,
wenn man ihr verſprach, ſie bald wieder in ihr
Brautbette zu fuͤhren. Sie ſprach nur von
dieſem, alle ihre Ideen und Gedanken beſchaͤf-
tigten ſich einzig damit, man mußte ſie jeden
Tag dahin leiten, wenn man nicht toͤdliche Ra-
ſerei in ihrem Herzen erregen wollte. Sie ver-
gaß bald ganz ihres Hugos, gedachte ſeiner nie
mehr, und ſchien auch alle andere Begebenhei-
ten ihres Lebens vergeſſen zu haben.

Nach fuͤnf Monden kehrte Hugo mit ſeinem
Vater zuruͤck. Freude und Wonne glaͤnzte in
ſeinem Geſichte, der Pabſt hatte ſein Flehen er-
hoͤrt, ihm fernere Ehe mit ſeiner Stiefſchweſter
geſtattet, wenn er dagegen eine Kirche baue,
und eines ſeiner Kinder dem Herrn widme.
Freude und Wonne wandelte ſich aber bald in
Leid und Jammer, als er ſich uͤberzeugte, daß
ſeine Kleta ihn nicht mehr kenne, und ein Raub
des Wahnſinnes geworden ſey. Er hofte ver-
gebens daß ſeine Gegenwart, die Verſicherung
ihres Gluͤcks ſie heilen wuͤrde, ſie ſchien ſeine
Troſtgruͤnde nicht zu hoͤren, und war nie zu be-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0292" n="282"/>
&#x017F;ie, den Ort zu verla&#x017F;&#x017F;en. Man mußte Gewalt<lb/>
brauchen, und reizte &#x017F;ie dadurch zur a&#x0364;chten Ra-<lb/>
&#x017F;erei des Wahn&#x017F;inns, die nur dann endete,<lb/>
wenn man ihr ver&#x017F;prach, &#x017F;ie bald wieder in ihr<lb/>
Brautbette zu fu&#x0364;hren. Sie &#x017F;prach nur von<lb/>
die&#x017F;em, alle ihre Ideen und Gedanken be&#x017F;cha&#x0364;f-<lb/>
tigten &#x017F;ich einzig damit, man mußte &#x017F;ie jeden<lb/>
Tag dahin leiten, wenn man nicht to&#x0364;dliche Ra-<lb/>
&#x017F;erei in ihrem Herzen erregen wollte. Sie ver-<lb/>
gaß bald ganz ihres Hugos, gedachte &#x017F;einer nie<lb/>
mehr, und &#x017F;chien auch alle andere Begebenhei-<lb/>
ten ihres Lebens verge&#x017F;&#x017F;en zu haben.</p><lb/>
        <p>Nach fu&#x0364;nf Monden kehrte Hugo mit &#x017F;einem<lb/>
Vater zuru&#x0364;ck. Freude und Wonne gla&#x0364;nzte in<lb/>
&#x017F;einem Ge&#x017F;ichte, der Pab&#x017F;t hatte &#x017F;ein Flehen er-<lb/>
ho&#x0364;rt, ihm fernere Ehe mit &#x017F;einer Stief&#x017F;chwe&#x017F;ter<lb/>
ge&#x017F;tattet, wenn er dagegen eine Kirche baue,<lb/>
und eines &#x017F;einer Kinder dem Herrn widme.<lb/>
Freude und Wonne wandelte &#x017F;ich aber bald in<lb/>
Leid und Jammer, als er &#x017F;ich u&#x0364;berzeugte, daß<lb/>
&#x017F;eine Kleta ihn nicht mehr kenne, und ein Raub<lb/>
des Wahn&#x017F;innes geworden &#x017F;ey. Er hofte ver-<lb/>
gebens daß &#x017F;eine Gegenwart, die Ver&#x017F;icherung<lb/>
ihres Glu&#x0364;cks &#x017F;ie heilen wu&#x0364;rde, &#x017F;ie &#x017F;chien &#x017F;eine<lb/>
Tro&#x017F;tgru&#x0364;nde nicht zu ho&#x0364;ren, und war nie zu be-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[282/0292] ſie, den Ort zu verlaſſen. Man mußte Gewalt brauchen, und reizte ſie dadurch zur aͤchten Ra- ſerei des Wahnſinns, die nur dann endete, wenn man ihr verſprach, ſie bald wieder in ihr Brautbette zu fuͤhren. Sie ſprach nur von dieſem, alle ihre Ideen und Gedanken beſchaͤf- tigten ſich einzig damit, man mußte ſie jeden Tag dahin leiten, wenn man nicht toͤdliche Ra- ſerei in ihrem Herzen erregen wollte. Sie ver- gaß bald ganz ihres Hugos, gedachte ſeiner nie mehr, und ſchien auch alle andere Begebenhei- ten ihres Lebens vergeſſen zu haben. Nach fuͤnf Monden kehrte Hugo mit ſeinem Vater zuruͤck. Freude und Wonne glaͤnzte in ſeinem Geſichte, der Pabſt hatte ſein Flehen er- hoͤrt, ihm fernere Ehe mit ſeiner Stiefſchweſter geſtattet, wenn er dagegen eine Kirche baue, und eines ſeiner Kinder dem Herrn widme. Freude und Wonne wandelte ſich aber bald in Leid und Jammer, als er ſich uͤberzeugte, daß ſeine Kleta ihn nicht mehr kenne, und ein Raub des Wahnſinnes geworden ſey. Er hofte ver- gebens daß ſeine Gegenwart, die Verſicherung ihres Gluͤcks ſie heilen wuͤrde, ſie ſchien ſeine Troſtgruͤnde nicht zu hoͤren, und war nie zu be-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/292
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/292>, abgerufen am 17.06.2024.