Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Zweiter Abschnitt. chen das vorliegende Wunder vor andern hat, Olshausendasselbe mit dem Gemüthszustand der betheiligten Perso- nen in Beziehung sezt, und die wunderbare Speisung durch den geistlichen Hunger der Menge vermittelt wissen will: so ist diess nur ein zweideutiges Reden, das bei dem ersten Versuch, den Sinn desselben festzustellen, in Nichts zer- fällt. Denn bei Heilungen z. B. besteht nach der hier vor- ausgesezten Ansicht jene Vermittlung darin, dass das Ge- müth des Kranken sich der Einwirkung Jesu glaubig öff- net, so dass bei fehlendem Glauben auch der Wunderkraft Jesu der erforderliche Anknüpfungspunkt im Menschen fehlt: hier also ist die Vermittlung eine reale. Sollte nun hier dieselbe Art von Vermittlung stattgehabt, und also bei denjenigen von der Menge, welche etwa unglaubig wa- ren, die sättigende Einwirkung Jesu keinen Eingang ge- funden haben: so müsste hier die Sättigung wie dort die Heilung als etwas von Jesu geradezu und ohne vorange- gangene Vermehrung der äusserlich vorhandenen Nahrungs- mittel in dem Leibe der Hungrigen Gewirktes angesehen werden. Allein eine solche Vorstellung von der Sache wird, wie Paulus mit Recht erinnert, und auch Olshausen an- deutet, durch die Bemerkung der Evangelisten abgeschnit- ten, dass unter die Menge wirklich Speisen vertheilt wor- den seien, dass von diesen jeder, so viel er wollte, genos- sen habe, und dass am Ende noch mehr als ursprünglich vorräthig gewesen, übrig gebiieben sei. Die hierin liegende äusserlich und objektiv vorgegangene Vermehrung der Nah- rungsmittel kann nun doch nicht durch den Glauben des Volks auf reale Weise vermittelt gedacht werden, so dass jener Glaube zum Gelingen der Brotvermehrung mitwirken musste, die Vermittlung kann vielmehr nur eine teleologi- sche gewesen sein, d. h. dass um eines gewissen Gemüths- zustands der Menge willen Jesus die Speisung vornahm. Eine solche Vermittlung aber giebt mir nicht die mindeste Hülfe, mir den fraglichen Vorgang denkbarer zu machen, Zweiter Abschnitt. chen das vorliegende Wunder vor andern hat, Olshausendasselbe mit dem Gemüthszustand der betheiligten Perso- nen in Beziehung sezt, und die wunderbare Speisung durch den geistlichen Hunger der Menge vermittelt wissen will: so ist dieſs nur ein zweideutiges Reden, das bei dem ersten Versuch, den Sinn desselben festzustellen, in Nichts zer- fällt. Denn bei Heilungen z. B. besteht nach der hier vor- ausgesezten Ansicht jene Vermittlung darin, daſs das Ge- müth des Kranken sich der Einwirkung Jesu glaubig öff- net, so daſs bei fehlendem Glauben auch der Wunderkraft Jesu der erforderliche Anknüpfungspunkt im Menschen fehlt: hier also ist die Vermittlung eine reale. Sollte nun hier dieselbe Art von Vermittlung stattgehabt, und also bei denjenigen von der Menge, welche etwa unglaubig wa- ren, die sättigende Einwirkung Jesu keinen Eingang ge- funden haben: so müſste hier die Sättigung wie dort die Heilung als etwas von Jesu geradezu und ohne vorange- gangene Vermehrung der äusserlich vorhandenen Nahrungs- mittel in dem Leibe der Hungrigen Gewirktes angesehen werden. Allein eine solche Vorstellung von der Sache wird, wie Paulus mit Recht erinnert, und auch Olshausen an- deutet, durch die Bemerkung der Evangelisten abgeschnit- ten, daſs unter die Menge wirklich Speisen vertheilt wor- den seien, daſs von diesen jeder, so viel er wollte, genos- sen habe, und daſs am Ende noch mehr als ursprünglich vorräthig gewesen, übrig gebiieben sei. Die hierin liegende äusserlich und objektiv vorgegangene Vermehrung der Nah- rungsmittel kann nun doch nicht durch den Glauben des Volks auf reale Weise vermittelt gedacht werden, so daſs jener Glaube zum Gelingen der Brotvermehrung mitwirken muſste, die Vermittlung kann vielmehr nur eine teleologi- sche gewesen sein, d. h. daſs um eines gewissen Gemüths- zustands der Menge willen Jesus die Speisung vornahm. 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Zweiter Abschnitt.
chen das vorliegende Wunder vor andern hat, Olshausen
dasselbe mit dem Gemüthszustand der betheiligten Perso-
nen in Beziehung sezt, und die wunderbare Speisung durch
den geistlichen Hunger der Menge vermittelt wissen will:
so ist dieſs nur ein zweideutiges Reden, das bei dem ersten
Versuch, den Sinn desselben festzustellen, in Nichts zer-
fällt. Denn bei Heilungen z. B. besteht nach der hier vor-
ausgesezten Ansicht jene Vermittlung darin, daſs das Ge-
müth des Kranken sich der Einwirkung Jesu glaubig öff-
net, so daſs bei fehlendem Glauben auch der Wunderkraft
Jesu der erforderliche Anknüpfungspunkt im Menschen
fehlt: hier also ist die Vermittlung eine reale. Sollte nun
hier dieselbe Art von Vermittlung stattgehabt, und also
bei denjenigen von der Menge, welche etwa unglaubig wa-
ren, die sättigende Einwirkung Jesu keinen Eingang ge-
funden haben: so müſste hier die Sättigung wie dort die
Heilung als etwas von Jesu geradezu und ohne vorange-
gangene Vermehrung der äusserlich vorhandenen Nahrungs-
mittel in dem Leibe der Hungrigen Gewirktes angesehen
werden. Allein eine solche Vorstellung von der Sache wird,
wie Paulus mit Recht erinnert, und auch Olshausen an-
deutet, durch die Bemerkung der Evangelisten abgeschnit-
ten, daſs unter die Menge wirklich Speisen vertheilt wor-
den seien, daſs von diesen jeder, so viel er wollte, genos-
sen habe, und daſs am Ende noch mehr als ursprünglich
vorräthig gewesen, übrig gebiieben sei. Die hierin liegende
äusserlich und objektiv vorgegangene Vermehrung der Nah-
rungsmittel kann nun doch nicht durch den Glauben des
Volks auf reale Weise vermittelt gedacht werden, so daſs
jener Glaube zum Gelingen der Brotvermehrung mitwirken
muſste, die Vermittlung kann vielmehr nur eine teleologi-
sche gewesen sein, d. h. daſs um eines gewissen Gemüths-
zustands der Menge willen Jesus die Speisung vornahm.
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