Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Zweiter Abschnitt. 8, 14 ff. vgl. Luc. 12, 1.), und beiderseits wird diese bild-liche Rede Jesu' irrig von eigentlichem Brot verstanden. Hienach läge die Vermuthung nicht allzufern, wie in den angeführten Stellen das Volk und die Jünger, so habe auch die erste christliche Überlieferung das von Jesu uneigent- lich Gemeinte eigentlich gefasst, und wenn er sich etwa in bildlicher Rede bisweilen als denjenigen dargestellt hat- te, welcher dem verirrten und hungernden Volke das wah- re Lebensbrot, die beste Zukost, zu reichen vermöge, wo- mit er vielleicht den Sauerteig der Pharisäer in Gegensaz stellte: so habe diess in der Sage, ihrer realistischen Rich- tung gemäss, die Wendung genommen, als ob Jesus wirk- lich einmal in der Wüste hungernde Volksmassen wunder- bar gespeist hätte. Wenn das vierte Evangelium die Re- den vom Himmelsbrot als veranlasst durch die Speisung hinstellt, so könnte das Verhältniss leicht umgekehrt diess gewesen sein, dass die Entstehung dieser Geschichte durch jene Rede veranlasst war, zumal auch der Eingang der jo- hanneischen Erzählung mit seinem: pothen agorasomen ar-- tous, ina phagosin outoi; sich gleich bei'm ersten Anblick des Volks in Jesu Munde eher denken lässt, wenn er da- mit auf eine Speisung durch das Wort Gottes (vgl. Joh. 4, 32 ff.), auf eine Stillung des geistigen Hungers (Matth. 5, 6.) anspielte, um das höhere Verständniss seiner Jün- ger zu üben (peio izon), als wenn er wirklich an leibliche Sättigung gedacht, und seine Jünger nur in der Hinsicht auf die Probe gestellt haben soll, ob sie sich dabei auf seine Wunderkraft verlassen würden. Weniger ladet zu einer solchen Ansicht die Erzählung der Synoptiker ein: durch die bildlichen Reden vom Sauerteig für sich konnte die Entstehung der Speisungsgeschichte nicht veranlasst werden, und da so nit das johanneische Evangelium in Be- zng auf jenen Schein eigentlich allein steht, so ist es dem Charakter desselben doch angemessener, zu vermuthen, dass es die traditionell überkommene Wundererzählung zu bild- Zweiter Abschnitt. 8, 14 ff. vgl. Luc. 12, 1.), und beiderseits wird diese bild-liche Rede Jesu' irrig von eigentlichem Brot verstanden. Hienach läge die Vermuthung nicht allzufern, wie in den angeführten Stellen das Volk und die Jünger, so habe auch die erste christliche Überlieferung das von Jesu uneigent- lich Gemeinte eigentlich gefaſst, und wenn er sich etwa in bildlicher Rede bisweilen als denjenigen dargestellt hat- te, welcher dem verirrten und hungernden Volke das wah- re Lebensbrot, die beste Zukost, zu reichen vermöge, wo- mit er vielleicht den Sauerteig der Pharisäer in Gegensaz stellte: so habe dieſs in der Sage, ihrer realistischen Rich- tung gemäſs, die Wendung genommen, als ob Jesus wirk- lich einmal in der Wüste hungernde Volksmassen wunder- bar gespeist hätte. Wenn das vierte Evangelium die Re- den vom Himmelsbrot als veranlaſst durch die Speisung hinstellt, so könnte das Verhältniſs leicht umgekehrt dieſs gewesen sein, daſs die Entstehung dieser Geschichte durch jene Rede veranlaſst war, zumal auch der Eingang der jo- hanneischen Erzählung mit seinem: πόϑεν ἀγοράσομεν ἄρ— τους, ἵνα φάγωσιν οὖτοι; sich gleich bei'm ersten Anblick des Volks in Jesu Munde eher denken läſst, wenn er da- mit auf eine Speisung durch das Wort Gottes (vgl. Joh. 4, 32 ff.), auf eine Stillung des geistigen Hungers (Matth. 5, 6.) anspielte, um das höhere Verständniſs seiner Jün- ger zu üben (πειο ίζων), als wenn er wirklich an leibliche Sättigung gedacht, und seine Jünger nur in der Hinsicht auf die Probe gestellt haben soll, ob sie sich dabei auf seine Wunderkraft verlassen würden. Weniger ladet zu einer solchen Ansicht die Erzählung der Synoptiker ein: durch die bildlichen Reden vom Sauerteig für sich konnte die Entstehung der Speisungsgeschichte nicht veranlaſst werden, und da so nit das johanneische Evangelium in Be- zng auf jenen Schein eigentlich allein steht, so ist es dem Charakter desselben doch angemessener, zu vermuthen, daſs es die traditionell überkommene Wundererzählung zu bild- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0233" n="214"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweiter Abschnitt</hi>.</fw><lb/> 8, 14 ff. vgl. 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Zweiter Abschnitt.
8, 14 ff. vgl. Luc. 12, 1.), und beiderseits wird diese bild-
liche Rede Jesu' irrig von eigentlichem Brot verstanden.
Hienach läge die Vermuthung nicht allzufern, wie in den
angeführten Stellen das Volk und die Jünger, so habe auch
die erste christliche Überlieferung das von Jesu uneigent-
lich Gemeinte eigentlich gefaſst, und wenn er sich etwa
in bildlicher Rede bisweilen als denjenigen dargestellt hat-
te, welcher dem verirrten und hungernden Volke das wah-
re Lebensbrot, die beste Zukost, zu reichen vermöge, wo-
mit er vielleicht den Sauerteig der Pharisäer in Gegensaz
stellte: so habe dieſs in der Sage, ihrer realistischen Rich-
tung gemäſs, die Wendung genommen, als ob Jesus wirk-
lich einmal in der Wüste hungernde Volksmassen wunder-
bar gespeist hätte. Wenn das vierte Evangelium die Re-
den vom Himmelsbrot als veranlaſst durch die Speisung
hinstellt, so könnte das Verhältniſs leicht umgekehrt dieſs
gewesen sein, daſs die Entstehung dieser Geschichte durch
jene Rede veranlaſst war, zumal auch der Eingang der jo-
hanneischen Erzählung mit seinem: πόϑεν ἀγοράσομεν ἄρ—
τους, ἵνα φάγωσιν οὖτοι; sich gleich bei'm ersten Anblick
des Volks in Jesu Munde eher denken läſst, wenn er da-
mit auf eine Speisung durch das Wort Gottes (vgl. Joh.
4, 32 ff.), auf eine Stillung des geistigen Hungers (Matth.
5, 6.) anspielte, um das höhere Verständniſs seiner Jün-
ger zu üben (πειο ίζων), als wenn er wirklich an leibliche
Sättigung gedacht, und seine Jünger nur in der Hinsicht
auf die Probe gestellt haben soll, ob sie sich dabei auf
seine Wunderkraft verlassen würden. Weniger ladet zu
einer solchen Ansicht die Erzählung der Synoptiker ein:
durch die bildlichen Reden vom Sauerteig für sich konnte
die Entstehung der Speisungsgeschichte nicht veranlaſst
werden, und da so nit das johanneische Evangelium in Be-
zng auf jenen Schein eigentlich allein steht, so ist es dem
Charakter desselben doch angemessener, zu vermuthen, daſs
es die traditionell überkommene Wundererzählung zu bild-
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