Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853.
mit ungebrochener Gediegenheit und Mächtigkeit thronende Seele hervor- §. 624. Auf der andern Seite schließt der bildnerische Styl ebensosehr ein flüch-1. Vischer's Aesthetik. 3. Band. 29
mit ungebrochener Gediegenheit und Mächtigkeit thronende Seele hervor- §. 624. Auf der andern Seite ſchließt der bildneriſche Styl ebenſoſehr ein flüch-1. Viſcher’s Aeſthetik. 3. Band. 29
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mit ungebrochener Gediegenheit und Mächtigkeit thronende Seele hervor-
ſtrahlen zu laſſen. Der Triumph aber der Plaſtik iſt die Darſtellung
eines feindſeligen, verderblichen, nahe an die Schauerlichkeit der chriſtli-
chen Vorſtellung des Böſen ſtreifenden weiblichen Weſens, das eines
graſſen Todes geſtorben iſt, deſſen Zuckungen auf ſeinem von Schlangen
ſtatt der Locken umringelten Antlitz ſtehen geblieben ſind, einer Todten-
maske, deren Anblick den entſetzten Menſchen verſteinern und welche doch
in einer Unendlichkeit von Schauern des Gräßlichen noch ſchön ſein ſollte:
das Meduſenhaupt. Hier konnte kein Ausdruck gegenwärtig wirkender
innerer Erhebung die Züge des verröchelnden Ungeheuers adeln; hier
war kein anderer Weg, als der, ſich an die ſpätere Sage zu halten,
welche die Meduſe als ſchön und von Poſeidon der Ehre ſeiner Um-
armung gewürdigt vorſtellte; nun entſtand die Aufgabe, ein vollendetes
Bild jenes im weiblichen Geſchlechte nicht ſeltenen Charakters zu geben:
eine Natur, edel angelegt und dieſer Adel in den Zügen, wie ſie aus
der Hand der Natur kommen, feſt ausgeprägt, dieſe Natur gefallen,
durch dämoniſche Leidenſchaft verwildert, aber im Falle noch die Erinne-
rung jenes Adels bewahrend; in leiſen, faſt unſichtbaren Spannungen
der Haut, Schatten, Hügeln wehen nun die Geſpenſterſchauer des Graſſen
über dieſe Züge hin und die ſtehen gebliebenen Krämpfe eines grauſen
Todes, wie ſie namentlich in den Mundwinkeln und der erſchlaffenden
Unterlippe ſpielen, werden wie zu einem Symbole der Selbſtvergiftung
des furienhaften Weibs, der hippokratiſchen, brecheriſchen Luft, in der ſie
ſich und ihre Umgebung erſtickt. Die Rondaniniſche Meduſe, durchaus
graß und wunderbar ſchön zugleich, iſt einer der höchſten Siege der Bild-
nerkunſt in äſthetiſcher Auflöſung des Häßlichen. — In das Komiſche
führen Affecte und Zuſtände grobſinnlicher Art hinüber: Trunkenheit,
Wolluſt, thieriſche Neigungen jeder Art. Es kommt in der Plaſtik darauf
an, auch ausgelaßnen Naturen Gediegenheit, Fülle, Sicherheit der Berechti-
gung zu geben, auch auf ſie den Abglanz des Göttlichen zu werfen, was
freilich am ſicherſten geſchieht, wenn ſie zum Voraus in den mythiſchen
Kreis aufgenommen ſind, wie das Gefolge des Bacchus. Die Silene,
Satyrn der Alten zeigen dieſelbe wunderbare Dämpfung des Gemeinen
wie ein Laokoon und eine Rond. Meduſe des Furchtbaren, dieſelbe wun-
derbare Rückführung der Linie vom Abnormen zur Welle der Schönheit.
§. 624.
Auf der andern Seite ſchließt der bildneriſche Styl ebenſoſehr ein flüch-
tiges Mienenſpiel aus, welches nicht die Wirkung einer durch die ganze
Geſtalt ſtrömenden weſentlichen Empfindung, ſondern nur angenblickliches Her-
vortreten eines übrigens aus ſeiner leiblichen Erſcheinung zurückgezogenen, in
Viſcher’s Aeſthetik. 3. Band. 29
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