Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853.
jenseits des Raumes wäre, ohne Nachgeben, ohne Widerstand; da ist Wir sind so von allen Puncten aus auf die allgemeinen Sätze zu-
jenſeits des Raumes wäre, ohne Nachgeben, ohne Widerſtand; da iſt Wir ſind ſo von allen Puncten aus auf die allgemeinen Sätze zu- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0116" n="442"/> jenſeits des Raumes wäre, ohne Nachgeben, ohne Widerſtand; da iſt<lb/> keine Kraft, die mit Kräften kämpfte, keine Blöße, wo die Zeitlichkeit ein-<lb/> brechen könnte“ u. ſ. w. (Schiller Ueber d. äſth. Erz. d. Menſchen. Br.<lb/> 15). Der Halbgott, der unbeſtimmtere (Gebiet des Genre) und der ge-<lb/> ſchichtlich beſtimmte Menſch (Porträtgebiet) entfernen ſich ſtufenweiſe von<lb/> dieſem reinen Gleichgewicht ihrer perſönlichen Einheit mit der abſoluten,<lb/> aber der Geiſt der Plaſtik muß dennoch auch ſie in dieſes Element tau-<lb/> chen und jener Abglanz, von dem in §. 606 die Rede war, läßt zwar<lb/> dem beſtimmten Wollen dieſer Naturen eine Haltung ſtärkerer Einſeitig-<lb/> keit, aber es iſt die Gleichmäßigkeit, die Ruhe im Sturm, es iſt der Aus-<lb/> druck des objectiven Sinns, der das Schickſal ohne Widerrede hinnimmt<lb/> und dadurch mit ihm Eins wird, mit dem Sein des Ewigen in Eins zu-<lb/> ſammenwächst, was auch ſie in einer ununterbrochenen Linie an die All-<lb/> heit des Göttlichen knüpft. — Nun erſt iſt Bedeutung und Grenze des<lb/> Individualiſmus in das volle Licht geſtellt. Er mag innerhalb ſeines<lb/> Spielraums näher oder ferner um die Grenze ſchweifen, wo in herbe-<lb/> rer Form die irrationaler gemiſchte Eigenheit des Charakters ſich aus-<lb/> drückt, aber jenſeits der feinen Grenzlinie liegt das Unplaſtiſche.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Wir ſind ſo von allen Puncten aus auf die allgemeinen Sätze zu-<lb/> rückgeführt, die wir der Entwicklung der einzelnen Momente vorangeſchickt<lb/> haben. Sie ſind nicht wiederholt, ſondern ausgeführt, ausgefüllt worden.<lb/> Zum Schluſſe können wir nun auf den Begriff des <hi rendition="#g">Charakteriſti-<lb/> ſchen</hi> zurückblicken, der um ſeiner Vieldeutigkeit willen als ein verwir-<lb/> render bezeichnet iſt in §. 39. Charakteriſtiſch könnte man ſelbſt die all-<lb/> gemeinen Züge der Geſtalt nennen, denn Charakter kann auch den reinen<lb/> Gattungstypus bedeuten; doch hat man bei dieſem unbeſtimmten Begriffe<lb/> vielmehr das im Auge, was wir genauer Individualiſmus und Natura-<lb/> liſmus nennen. Es handelt ſich in dieſer Streitfrage um das Ganze<lb/> des Kunſtgebiets und dieß iſt eigentlich die Verwirrung. Schon zu §. 39<lb/> iſt geſagt, daß das Beſondere und Einzelne ganz verſchieden wiege in den<lb/> verſchiedenen Grundformen des Schönen, Zeitaltern des Ideals und Kün-<lb/> ſten. In der Bildnerkunſt nun wiegt der reine Gattungstypus ſtärker,<lb/> als die beſondern und einzelnen Formen; wer ſich alſo gegen das Cha-<lb/> rakteriſtiſche erklärt, fühlt plaſtiſch. <hi rendition="#g">Schelling</hi> (Ueber d. Verh. d. bild.<lb/> K. g. d. Natur) hat über dieſen Begriff Tiefes und Geiſtvolles ausge-<lb/> ſprochen: die Beſtimmtheit in der Natur und als lebendiger Charakter<lb/> der Individualität iſt nie eine Verneinung, ſondern ſtets eine Bejahung;<lb/> wer das Weſen ergriffen, darf auch die Härte und Strenge nicht fürch-<lb/> ten, denn ſie iſt Bedingung des Lebens; die Natur dringt auf Beſtimmt-<lb/> heit, Verſchloſſenheit, ehe ſie zur Milde der Vollendung fortgeht; daher<lb/> muß auch der Künſtler erſt im Begrenzten treu und wahr ſein, um im<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [442/0116]
jenſeits des Raumes wäre, ohne Nachgeben, ohne Widerſtand; da iſt
keine Kraft, die mit Kräften kämpfte, keine Blöße, wo die Zeitlichkeit ein-
brechen könnte“ u. ſ. w. (Schiller Ueber d. äſth. Erz. d. Menſchen. Br.
15). Der Halbgott, der unbeſtimmtere (Gebiet des Genre) und der ge-
ſchichtlich beſtimmte Menſch (Porträtgebiet) entfernen ſich ſtufenweiſe von
dieſem reinen Gleichgewicht ihrer perſönlichen Einheit mit der abſoluten,
aber der Geiſt der Plaſtik muß dennoch auch ſie in dieſes Element tau-
chen und jener Abglanz, von dem in §. 606 die Rede war, läßt zwar
dem beſtimmten Wollen dieſer Naturen eine Haltung ſtärkerer Einſeitig-
keit, aber es iſt die Gleichmäßigkeit, die Ruhe im Sturm, es iſt der Aus-
druck des objectiven Sinns, der das Schickſal ohne Widerrede hinnimmt
und dadurch mit ihm Eins wird, mit dem Sein des Ewigen in Eins zu-
ſammenwächst, was auch ſie in einer ununterbrochenen Linie an die All-
heit des Göttlichen knüpft. — Nun erſt iſt Bedeutung und Grenze des
Individualiſmus in das volle Licht geſtellt. Er mag innerhalb ſeines
Spielraums näher oder ferner um die Grenze ſchweifen, wo in herbe-
rer Form die irrationaler gemiſchte Eigenheit des Charakters ſich aus-
drückt, aber jenſeits der feinen Grenzlinie liegt das Unplaſtiſche.
Wir ſind ſo von allen Puncten aus auf die allgemeinen Sätze zu-
rückgeführt, die wir der Entwicklung der einzelnen Momente vorangeſchickt
haben. Sie ſind nicht wiederholt, ſondern ausgeführt, ausgefüllt worden.
Zum Schluſſe können wir nun auf den Begriff des Charakteriſti-
ſchen zurückblicken, der um ſeiner Vieldeutigkeit willen als ein verwir-
render bezeichnet iſt in §. 39. Charakteriſtiſch könnte man ſelbſt die all-
gemeinen Züge der Geſtalt nennen, denn Charakter kann auch den reinen
Gattungstypus bedeuten; doch hat man bei dieſem unbeſtimmten Begriffe
vielmehr das im Auge, was wir genauer Individualiſmus und Natura-
liſmus nennen. Es handelt ſich in dieſer Streitfrage um das Ganze
des Kunſtgebiets und dieß iſt eigentlich die Verwirrung. Schon zu §. 39
iſt geſagt, daß das Beſondere und Einzelne ganz verſchieden wiege in den
verſchiedenen Grundformen des Schönen, Zeitaltern des Ideals und Kün-
ſten. In der Bildnerkunſt nun wiegt der reine Gattungstypus ſtärker,
als die beſondern und einzelnen Formen; wer ſich alſo gegen das Cha-
rakteriſtiſche erklärt, fühlt plaſtiſch. Schelling (Ueber d. Verh. d. bild.
K. g. d. Natur) hat über dieſen Begriff Tiefes und Geiſtvolles ausge-
ſprochen: die Beſtimmtheit in der Natur und als lebendiger Charakter
der Individualität iſt nie eine Verneinung, ſondern ſtets eine Bejahung;
wer das Weſen ergriffen, darf auch die Härte und Strenge nicht fürch-
ten, denn ſie iſt Bedingung des Lebens; die Natur dringt auf Beſtimmt-
heit, Verſchloſſenheit, ehe ſie zur Milde der Vollendung fortgeht; daher
muß auch der Künſtler erſt im Begrenzten treu und wahr ſein, um im
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