Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

Baukunst, Bildhauerei, Malerei begründen. Das Relief nämlich neigt,
wie wir gesehen, zur Malerei hinüber als Darstellung auf einer Fläche,
in anderem Sinn, durch ihre Bewegtheit nämlich, die Gruppe, wiewohl
diese durch ihren Aufbau, sowohl angelehnt im Giebelfeld, wie auch als
freie, in gewissem Sinn auch mehr architektonisch ist. Rein plastisch ist
die Statue; wo sie als Karyatide, Telamon die Stelle der Säule ver-
tritt, ist auch sie natürlich wieder mehr architektonisch. Dichterisch dage-
gen kann man die große cyklische Composition nennen. -- Sieht man
nun aber nicht auf die bleibenden Unterschiede, sondern auf die geschicht-
liche Entwicklung der Kunst, so werden, abgesehen von diesen relativen
Uebertritten auf den Boden einer andern Kunstweise, die einfach außer-
halb Lob und Tadel jederzeit bestehen, Mischungsverhältnisse vor uns
auftreten, die eine ganz andere Beziehung haben, nämlich solche, worin
die Kunst des tastenden Sehens entweder rein auf ihrem eigenen Boden
bleibt, oder theils auf berechtigte theils auf unberechtigte Weise sich auf
den Standpunct der messenden oder malerischen, oder auf den Stand-
punct der empfindenden, auch der dichtenden Phantasie wirft und danach
den Styl in ganzen Perioden bestimmt (vergl. §. 541). Es wird sich
aber sogleich zeigen, daß dieß nicht der einzige Hebel der geschichtlichen
Bewegung ist.


Vischer's Aesthetik. 3. Band. 31

Baukunſt, Bildhauerei, Malerei begründen. Das Relief nämlich neigt,
wie wir geſehen, zur Malerei hinüber als Darſtellung auf einer Fläche,
in anderem Sinn, durch ihre Bewegtheit nämlich, die Gruppe, wiewohl
dieſe durch ihren Aufbau, ſowohl angelehnt im Giebelfeld, wie auch als
freie, in gewiſſem Sinn auch mehr architektoniſch iſt. Rein plaſtiſch iſt
die Statue; wo ſie als Karyatide, Telamon die Stelle der Säule ver-
tritt, iſt auch ſie natürlich wieder mehr architektoniſch. Dichteriſch dage-
gen kann man die große cykliſche Compoſition nennen. — Sieht man
nun aber nicht auf die bleibenden Unterſchiede, ſondern auf die geſchicht-
liche Entwicklung der Kunſt, ſo werden, abgeſehen von dieſen relativen
Uebertritten auf den Boden einer andern Kunſtweiſe, die einfach außer-
halb Lob und Tadel jederzeit beſtehen, Miſchungsverhältniſſe vor uns
auftreten, die eine ganz andere Beziehung haben, nämlich ſolche, worin
die Kunſt des taſtenden Sehens entweder rein auf ihrem eigenen Boden
bleibt, oder theils auf berechtigte theils auf unberechtigte Weiſe ſich auf
den Standpunct der meſſenden oder maleriſchen, oder auf den Stand-
punct der empfindenden, auch der dichtenden Phantaſie wirft und danach
den Styl in ganzen Perioden beſtimmt (vergl. §. 541). Es wird ſich
aber ſogleich zeigen, daß dieß nicht der einzige Hebel der geſchichtlichen
Bewegung iſt.


Viſcher’s Aeſthetik. 3. Band. 31
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0141" n="467"/>
Baukun&#x017F;t, Bildhauerei, Malerei begründen. Das Relief nämlich neigt,<lb/>
wie wir ge&#x017F;ehen, zur Malerei hinüber als Dar&#x017F;tellung auf einer Fläche,<lb/>
in anderem Sinn, durch ihre Bewegtheit nämlich, die Gruppe, wiewohl<lb/>
die&#x017F;e durch ihren Aufbau, &#x017F;owohl angelehnt im Giebelfeld, wie auch als<lb/>
freie, in gewi&#x017F;&#x017F;em Sinn auch mehr architektoni&#x017F;ch i&#x017F;t. Rein pla&#x017F;ti&#x017F;ch i&#x017F;t<lb/>
die Statue; wo &#x017F;ie als Karyatide, Telamon die Stelle der Säule ver-<lb/>
tritt, i&#x017F;t auch &#x017F;ie natürlich wieder mehr architektoni&#x017F;ch. Dichteri&#x017F;ch dage-<lb/>
gen kann man die große cykli&#x017F;che Compo&#x017F;ition nennen. &#x2014; Sieht man<lb/>
nun aber nicht auf die bleibenden Unter&#x017F;chiede, &#x017F;ondern auf die ge&#x017F;chicht-<lb/>
liche Entwicklung der Kun&#x017F;t, &#x017F;o werden, abge&#x017F;ehen von <hi rendition="#g">die&#x017F;en</hi> relativen<lb/>
Uebertritten auf den Boden einer andern Kun&#x017F;twei&#x017F;e, die einfach außer-<lb/>
halb Lob und Tadel jederzeit be&#x017F;tehen, Mi&#x017F;chungsverhältni&#x017F;&#x017F;e vor uns<lb/>
auftreten, die eine ganz andere Beziehung haben, nämlich &#x017F;olche, worin<lb/>
die Kun&#x017F;t des ta&#x017F;tenden Sehens entweder rein auf ihrem eigenen Boden<lb/>
bleibt, oder theils auf berechtigte theils auf unberechtigte Wei&#x017F;e &#x017F;ich auf<lb/>
den Standpunct der me&#x017F;&#x017F;enden oder maleri&#x017F;chen, oder auf den Stand-<lb/>
punct der empfindenden, auch der dichtenden Phanta&#x017F;ie wirft und danach<lb/>
den <hi rendition="#g">Styl</hi> in ganzen Perioden be&#x017F;timmt (vergl. §. 541). Es wird &#x017F;ich<lb/>
aber &#x017F;ogleich zeigen, daß dieß nicht der einzige Hebel der ge&#x017F;chichtlichen<lb/>
Bewegung i&#x017F;t.</hi> </p>
                </div>
              </div><lb/>
              <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Vi&#x017F;cher&#x2019;s</hi> Ae&#x017F;thetik. 3. Band. 31</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[467/0141] Baukunſt, Bildhauerei, Malerei begründen. Das Relief nämlich neigt, wie wir geſehen, zur Malerei hinüber als Darſtellung auf einer Fläche, in anderem Sinn, durch ihre Bewegtheit nämlich, die Gruppe, wiewohl dieſe durch ihren Aufbau, ſowohl angelehnt im Giebelfeld, wie auch als freie, in gewiſſem Sinn auch mehr architektoniſch iſt. Rein plaſtiſch iſt die Statue; wo ſie als Karyatide, Telamon die Stelle der Säule ver- tritt, iſt auch ſie natürlich wieder mehr architektoniſch. Dichteriſch dage- gen kann man die große cykliſche Compoſition nennen. — Sieht man nun aber nicht auf die bleibenden Unterſchiede, ſondern auf die geſchicht- liche Entwicklung der Kunſt, ſo werden, abgeſehen von dieſen relativen Uebertritten auf den Boden einer andern Kunſtweiſe, die einfach außer- halb Lob und Tadel jederzeit beſtehen, Miſchungsverhältniſſe vor uns auftreten, die eine ganz andere Beziehung haben, nämlich ſolche, worin die Kunſt des taſtenden Sehens entweder rein auf ihrem eigenen Boden bleibt, oder theils auf berechtigte theils auf unberechtigte Weiſe ſich auf den Standpunct der meſſenden oder maleriſchen, oder auf den Stand- punct der empfindenden, auch der dichtenden Phantaſie wirft und danach den Styl in ganzen Perioden beſtimmt (vergl. §. 541). Es wird ſich aber ſogleich zeigen, daß dieß nicht der einzige Hebel der geſchichtlichen Bewegung iſt. Viſcher’s Aeſthetik. 3. Band. 31

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030202_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030202_1853/141
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853, S. 467. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030202_1853/141>, abgerufen am 31.10.2024.