Rollen und der Textgesang wurde von Andern übernommen. Der Tanz mit der Musik tritt hier in die Stellung, welche diese für sich in ihrer Anlehnung an die Poesie als Gesang gewinnt: der Umfang dessen, was ausgedrückt werden kann, dehnt sich weit über das ursprüngliche Maaß, die Welt der Leidenschaften kann unendlich mannigfaltiger und tiefer erschöpft werden und zugleich mit ihr die Sphären, wie sie sich nach den Grund- gegensätzen des Schönen theilen, namentlich das Komische, was bei den Alten zu einer höchst ausgebildeten Gebärden-Satyre sich steigerte. Mit dieser zur vollen, deutlichen Handlung zusammengefaßten mimischen Orchestik wirkt nun wieder das Gesammtspiel des Chors zusammen, der auf der Stufe der einfacheren Tanzbewegung bleibt und mit ihren weniger spezialisirten Mitteln den pantomimischen Acteur wie ein Echo begleitet.
Blickt man auf die Gymnastik zurück, so erhellt, daß die Orchestik dem rein Aesthetischen näher liegt. Jene ist wesentlich praktisches, pädagogisches, politisches Mittel und wird, wo sie nicht käuflich ihre Künste zeigt, nur aus bestimmten, festlichen Anlässen der bloßen Darstellung wegen ausgeübt, sie sieht auf Schönheit und befördert sie, aber mehr auf Ausbildung der Kraft, und Ausdruck von Seelen-Leben ist gar nicht ihre Absicht, sondern ergibt sich, und zwar in sehr beschränkter Weise, nur von selbst bei der Kraftübung. Bei der Orchestik verhält sich dieß Alles umgekeht. Sie ist wohl auch pädagogisches Mittel und gehört nach dieser Seite zur Gymnastik als ihr feinerer Theil, aber sie eilt doch viel directer dem zwecklosen Zwecke der schönen Darstellung zu, in welcher das erhabene Bild der Kraft nur ein Moment ist; sie sieht es neben der reinen Darstellung auch auf geselligen Genuß ab, in diesem bildet aber neben der heilsamen Emotion der Säfte und Nerven und der Erheiterung, die in den Anziehungen der Geschlechter liegt, eben das Zeigen und Schauen, also wieder das objective Bild ein Hauptmoment. Uebrigens werden wir finden, wie hierin das Alterthum und die neuere Zeit sich unterscheidet. Die Schattenseite der Tanzkunst liegt darin, daß sie eben um so viel, als sie ästhetischer ist, auch Gefahr läuft, durch ihre Verwendung lebendigen Naturstoffes zu einem System anmuthvoller Bewegungen sich zu pathologischen Reizen verführen zu lassen; was denn auch von jeher geschehen ist. Mit gutem Recht ist ein Haupt- thema einer Kunst der schönen Bewegung die Liebe der Geschlechter, aber der Uebergang von dem Bilde der Lust, das in allem Feuer rein bleibt, zum gemeinen und stoffartigen Kitzel liegt nahe und schon die Griechen hatten ihren Cancan, das pantomimische Theater der Römer so üppige und üppigere Darstellungen, als die orientalische Tanzbühne noch heute sie aufweist. Dem Tanze selbst um dieser Verirrung willen zu zürnen muß man aber denen überlassen, die nur eine häßliche Sinnlichkeit kennen.
Rollen und der Textgeſang wurde von Andern übernommen. Der Tanz mit der Muſik tritt hier in die Stellung, welche dieſe für ſich in ihrer Anlehnung an die Poeſie als Geſang gewinnt: der Umfang deſſen, was ausgedrückt werden kann, dehnt ſich weit über das urſprüngliche Maaß, die Welt der Leidenſchaften kann unendlich mannigfaltiger und tiefer erſchöpft werden und zugleich mit ihr die Sphären, wie ſie ſich nach den Grund- gegenſätzen des Schönen theilen, namentlich das Komiſche, was bei den Alten zu einer höchſt ausgebildeten Gebärden-Satyre ſich ſteigerte. Mit dieſer zur vollen, deutlichen Handlung zuſammengefaßten mimiſchen Orcheſtik wirkt nun wieder das Geſammtſpiel des Chors zuſammen, der auf der Stufe der einfacheren Tanzbewegung bleibt und mit ihren weniger ſpezialiſirten Mitteln den pantomimiſchen Acteur wie ein Echo begleitet.
Blickt man auf die Gymnaſtik zurück, ſo erhellt, daß die Orcheſtik dem rein Aeſthetiſchen näher liegt. Jene iſt weſentlich praktiſches, pädagogiſches, politiſches Mittel und wird, wo ſie nicht käuflich ihre Künſte zeigt, nur aus beſtimmten, feſtlichen Anläſſen der bloßen Darſtellung wegen ausgeübt, ſie ſieht auf Schönheit und befördert ſie, aber mehr auf Ausbildung der Kraft, und Ausdruck von Seelen-Leben iſt gar nicht ihre Abſicht, ſondern ergibt ſich, und zwar in ſehr beſchränkter Weiſe, nur von ſelbſt bei der Kraftübung. Bei der Orcheſtik verhält ſich dieß Alles umgekeht. Sie iſt wohl auch pädagogiſches Mittel und gehört nach dieſer Seite zur Gymnaſtik als ihr feinerer Theil, aber ſie eilt doch viel directer dem zweckloſen Zwecke der ſchönen Darſtellung zu, in welcher das erhabene Bild der Kraft nur ein Moment iſt; ſie ſieht es neben der reinen Darſtellung auch auf geſelligen Genuß ab, in dieſem bildet aber neben der heilſamen Emotion der Säfte und Nerven und der Erheiterung, die in den Anziehungen der Geſchlechter liegt, eben das Zeigen und Schauen, alſo wieder das objective Bild ein Hauptmoment. Uebrigens werden wir finden, wie hierin das Alterthum und die neuere Zeit ſich unterſcheidet. Die Schattenſeite der Tanzkunſt liegt darin, daß ſie eben um ſo viel, als ſie äſthetiſcher iſt, auch Gefahr läuft, durch ihre Verwendung lebendigen Naturſtoffes zu einem Syſtem anmuthvoller Bewegungen ſich zu pathologiſchen Reizen verführen zu laſſen; was denn auch von jeher geſchehen iſt. Mit gutem Recht iſt ein Haupt- thema einer Kunſt der ſchönen Bewegung die Liebe der Geſchlechter, aber der Uebergang von dem Bilde der Luſt, das in allem Feuer rein bleibt, zum gemeinen und ſtoffartigen Kitzel liegt nahe und ſchon die Griechen hatten ihren Cancan, das pantomimiſche Theater der Römer ſo üppige und üppigere Darſtellungen, als die orientaliſche Tanzbühne noch heute ſie aufweist. Dem Tanze ſelbſt um dieſer Verirrung willen zu zürnen muß man aber denen überlaſſen, die nur eine häßliche Sinnlichkeit kennen.
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Rollen und der Textgeſang wurde von Andern übernommen. Der Tanz
mit der Muſik tritt hier in die Stellung, welche dieſe für ſich in ihrer
Anlehnung an die Poeſie als Geſang gewinnt: der Umfang deſſen, was
ausgedrückt werden kann, dehnt ſich weit über das urſprüngliche Maaß,
die Welt der Leidenſchaften kann unendlich mannigfaltiger und tiefer erſchöpft
werden und zugleich mit ihr die Sphären, wie ſie ſich nach den Grund-
gegenſätzen des Schönen theilen, namentlich das Komiſche, was bei den
Alten zu einer höchſt ausgebildeten Gebärden-Satyre ſich ſteigerte. Mit dieſer
zur vollen, deutlichen Handlung zuſammengefaßten mimiſchen Orcheſtik wirkt
nun wieder das Geſammtſpiel des Chors zuſammen, der auf der Stufe der
einfacheren Tanzbewegung bleibt und mit ihren weniger ſpezialiſirten Mitteln
den pantomimiſchen Acteur wie ein Echo begleitet.
Blickt man auf die Gymnaſtik zurück, ſo erhellt, daß die Orcheſtik dem
rein Aeſthetiſchen näher liegt. Jene iſt weſentlich praktiſches, pädagogiſches,
politiſches Mittel und wird, wo ſie nicht käuflich ihre Künſte zeigt, nur
aus beſtimmten, feſtlichen Anläſſen der bloßen Darſtellung wegen ausgeübt,
ſie ſieht auf Schönheit und befördert ſie, aber mehr auf Ausbildung der
Kraft, und Ausdruck von Seelen-Leben iſt gar nicht ihre Abſicht, ſondern
ergibt ſich, und zwar in ſehr beſchränkter Weiſe, nur von ſelbſt bei der
Kraftübung. Bei der Orcheſtik verhält ſich dieß Alles umgekeht. Sie iſt
wohl auch pädagogiſches Mittel und gehört nach dieſer Seite zur Gymnaſtik
als ihr feinerer Theil, aber ſie eilt doch viel directer dem zweckloſen Zwecke
der ſchönen Darſtellung zu, in welcher das erhabene Bild der Kraft nur
ein Moment iſt; ſie ſieht es neben der reinen Darſtellung auch auf geſelligen
Genuß ab, in dieſem bildet aber neben der heilſamen Emotion der Säfte
und Nerven und der Erheiterung, die in den Anziehungen der Geſchlechter
liegt, eben das Zeigen und Schauen, alſo wieder das objective Bild ein
Hauptmoment. Uebrigens werden wir finden, wie hierin das Alterthum
und die neuere Zeit ſich unterſcheidet. Die Schattenſeite der Tanzkunſt
liegt darin, daß ſie eben um ſo viel, als ſie äſthetiſcher iſt, auch Gefahr
läuft, durch ihre Verwendung lebendigen Naturſtoffes zu einem Syſtem
anmuthvoller Bewegungen ſich zu pathologiſchen Reizen verführen zu laſſen;
was denn auch von jeher geſchehen iſt. Mit gutem Recht iſt ein Haupt-
thema einer Kunſt der ſchönen Bewegung die Liebe der Geſchlechter, aber
der Uebergang von dem Bilde der Luſt, das in allem Feuer rein bleibt,
zum gemeinen und ſtoffartigen Kitzel liegt nahe und ſchon die Griechen hatten
ihren Cancan, das pantomimiſche Theater der Römer ſo üppige und üppigere
Darſtellungen, als die orientaliſche Tanzbühne noch heute ſie aufweist.
Dem Tanze ſelbſt um dieſer Verirrung willen zu zürnen muß man aber
denen überlaſſen, die nur eine häßliche Sinnlichkeit kennen.
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 1155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/393>, abgerufen am 01.11.2024.
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