Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.V. Prüfung der vorgeschichtlich-anthropologischen Gegeninstanzen. mensch, von dieser Eigenthümlichkeit her ins Auge gefaßt, herzlichschlecht in ein System urgeschichtlicher Speculation, das der biblischen Urgeschichte den Krieg erklärt. Sind jene Knochenschnitzereien ächt, und das scheint betreffs eines ziemlichen Theils von ihnen doch angenommen werden zu müssen, so ist die Renthiercultur, also die spätere Steinzeit überhaupt, sehr wenig dazu geeignet, Descendenz- phantasieen zur Stütze zu dienen oder in polemischer Absicht gegen- über dem status integritatis verwerthet zu werden. Die frühere und früheste Steinzeit (paläolithische Zeit) aber 1) So z. B. in der Räuberhöhle bei Etterzhausen in der Oberpfalz (aus- gegraben von Fraas und Zittel 1871), im Trou du Frontal in Belgien, auch in mehreren englischen Höhlen, wie der Kents-Höhle bei Torquay, der Brixham- Höhle etc. 2) Siehe namentlich Alfred Nehring, Die quaternären Faunen von Thiede
und Westeregeln, im Archiv für Anthropol. 1878, S. 1--25. Vgl. Ratzel Vorgesch. S. 117 ff.; Zittel, Aus d. Urzeit, S. 521 ff. V. Prüfung der vorgeſchichtlich-anthropologiſchen Gegeninſtanzen. menſch, von dieſer Eigenthümlichkeit her ins Auge gefaßt, herzlichſchlecht in ein Syſtem urgeſchichtlicher Speculation, das der bibliſchen Urgeſchichte den Krieg erklärt. Sind jene Knochenſchnitzereien ächt, und das ſcheint betreffs eines ziemlichen Theils von ihnen doch angenommen werden zu müſſen, ſo iſt die Renthiercultur, alſo die ſpätere Steinzeit überhaupt, ſehr wenig dazu geeignet, Deſcendenz- phantaſieen zur Stütze zu dienen oder in polemiſcher Abſicht gegen- über dem status integritatis verwerthet zu werden. Die frühere und früheſte Steinzeit (paläolithiſche Zeit) aber 1) So z. B. in der Räuberhöhle bei Etterzhauſen in der Oberpfalz (aus- gegraben von Fraas und Zittel 1871), im Trou du Frontal in Belgien, auch in mehreren engliſchen Höhlen, wie der Kents-Höhle bei Torquay, der Brixham- Höhle ꝛc. 2) Siehe namentlich Alfred Nehring, Die quaternären Faunen von Thiede
und Weſteregeln, im Archiv für Anthropol. 1878, S. 1—25. Vgl. Ratzel Vorgeſch. S. 117 ff.; Zittel, Aus d. Urzeit, S. 521 ff. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0176" n="166"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> Prüfung der vorgeſchichtlich-anthropologiſchen Gegeninſtanzen.</fw><lb/> menſch, von dieſer Eigenthümlichkeit her ins Auge gefaßt, herzlich<lb/> ſchlecht in ein Syſtem urgeſchichtlicher Speculation, das der bibliſchen<lb/> Urgeſchichte den Krieg erklärt. Sind jene Knochenſchnitzereien ächt,<lb/> und das ſcheint betreffs eines ziemlichen Theils von ihnen doch<lb/> angenommen werden zu müſſen, ſo iſt die Renthiercultur, alſo die<lb/> ſpätere Steinzeit überhaupt, ſehr wenig dazu geeignet, Deſcendenz-<lb/> phantaſieen zur Stütze zu dienen oder in polemiſcher Abſicht gegen-<lb/> über dem <hi rendition="#aq">status integritatis</hi> verwerthet zu werden.</p><lb/> <p>Die frühere und früheſte Steinzeit (paläolithiſche Zeit) aber<lb/> — auch Mammuthperiode, wenn man dieß vorzieht, oder Zeit der<lb/> Canſtatt-Race, oder ſchließlich gar Neanderthalo<hi rendition="#aq">ï</hi>d-Zeit, u. ſ. f. —<lb/> kann ſie wirklich als ſo ganz und gar vernichtend für den bibliſchen<lb/> Urſtandsglauben gelten, wie der moderne Naturalismus dieß an-<lb/> nimmt? — Sie läßt ſich ja kaum irgendwo ſcharf und beſtimmt<lb/> von der ſpäteren Stein- oder Renthierzeit abgrenzen; foſſile Mam-<lb/> muthknochen, Höhlenbären-, Höhlenhyänenknochen u. ſ. f. erſcheinen<lb/> oft genug denjenigen der Thierwelt, die für die Renthierperiode als<lb/> charakteriſtiſch gilt, ſowie den menſchlichen Spuren aus dieſer Zeit,<lb/> in reichlicher Fülle beigemengt.<note place="foot" n="1)">So z. B. in der Räuberhöhle bei Etterzhauſen in der Oberpfalz (aus-<lb/> gegraben von Fraas und Zittel 1871), im Trou du Frontal in Belgien, auch<lb/> in mehreren engliſchen Höhlen, wie der Kents-Höhle bei Torquay, der Brixham-<lb/> Höhle ꝛc.</note> Der ganze fragliche Zeitraum hat<lb/> etwas nebelhaft Unbeſtimmtes, Zerfloſſenes, weder nach vorne noch<lb/> nach hinten ſcharf Abgeſondertes; die deutſche paläontologiſche<lb/> Forſchung neigt überwiegend dazu, die Diſtinction zwiſchen ihm und<lb/> der Renthierzeit überhaupt als belanglos fallen zu laſſen.<note place="foot" n="2)">Siehe namentlich Alfred <hi rendition="#g">Nehring,</hi> Die quaternären Faunen von Thiede<lb/> und Weſteregeln, im Archiv für Anthropol. 1878, S. 1—25. Vgl. <hi rendition="#g">Ratzel</hi><lb/> Vorgeſch. S. 117 ff.; <hi rendition="#g">Zittel,</hi> Aus d. Urzeit, S. 521 ff.</note> Sta-<lb/> tuirt man eine beſondre Mammuthperiode, wofür immerhin manche<lb/> Gründe geltend zu machen ſein mögen, ſo wären ihr conſequenter-<lb/> weiſe wohl auch ſolche Kunſtwerke, wie das Elfenbeinſtück von La<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [166/0176]
V. Prüfung der vorgeſchichtlich-anthropologiſchen Gegeninſtanzen.
menſch, von dieſer Eigenthümlichkeit her ins Auge gefaßt, herzlich
ſchlecht in ein Syſtem urgeſchichtlicher Speculation, das der bibliſchen
Urgeſchichte den Krieg erklärt. Sind jene Knochenſchnitzereien ächt,
und das ſcheint betreffs eines ziemlichen Theils von ihnen doch
angenommen werden zu müſſen, ſo iſt die Renthiercultur, alſo die
ſpätere Steinzeit überhaupt, ſehr wenig dazu geeignet, Deſcendenz-
phantaſieen zur Stütze zu dienen oder in polemiſcher Abſicht gegen-
über dem status integritatis verwerthet zu werden.
Die frühere und früheſte Steinzeit (paläolithiſche Zeit) aber
— auch Mammuthperiode, wenn man dieß vorzieht, oder Zeit der
Canſtatt-Race, oder ſchließlich gar Neanderthaloïd-Zeit, u. ſ. f. —
kann ſie wirklich als ſo ganz und gar vernichtend für den bibliſchen
Urſtandsglauben gelten, wie der moderne Naturalismus dieß an-
nimmt? — Sie läßt ſich ja kaum irgendwo ſcharf und beſtimmt
von der ſpäteren Stein- oder Renthierzeit abgrenzen; foſſile Mam-
muthknochen, Höhlenbären-, Höhlenhyänenknochen u. ſ. f. erſcheinen
oft genug denjenigen der Thierwelt, die für die Renthierperiode als
charakteriſtiſch gilt, ſowie den menſchlichen Spuren aus dieſer Zeit,
in reichlicher Fülle beigemengt. 1) Der ganze fragliche Zeitraum hat
etwas nebelhaft Unbeſtimmtes, Zerfloſſenes, weder nach vorne noch
nach hinten ſcharf Abgeſondertes; die deutſche paläontologiſche
Forſchung neigt überwiegend dazu, die Diſtinction zwiſchen ihm und
der Renthierzeit überhaupt als belanglos fallen zu laſſen. 2) Sta-
tuirt man eine beſondre Mammuthperiode, wofür immerhin manche
Gründe geltend zu machen ſein mögen, ſo wären ihr conſequenter-
weiſe wohl auch ſolche Kunſtwerke, wie das Elfenbeinſtück von La
1) So z. B. in der Räuberhöhle bei Etterzhauſen in der Oberpfalz (aus-
gegraben von Fraas und Zittel 1871), im Trou du Frontal in Belgien, auch
in mehreren engliſchen Höhlen, wie der Kents-Höhle bei Torquay, der Brixham-
Höhle ꝛc.
2) Siehe namentlich Alfred Nehring, Die quaternären Faunen von Thiede
und Weſteregeln, im Archiv für Anthropol. 1878, S. 1—25. Vgl. Ratzel
Vorgeſch. S. 117 ff.; Zittel, Aus d. Urzeit, S. 521 ff.
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