Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729.Cap. 4. v. 3. 4. an den Timotheum. [Spaltenumbruch]
wärtigen Zeit die Rede ist) da sie (die ausgear-teten Zuhörer) die heylsame Lehre (ugiainou'- ses didaskalias, die reine, gesunde und ge- sundmachende Lehre, die nebst dem Unterricht eine überzeugende Bestrafung, Warnung und Ermahnung in sich hält, nach V. 2. und C. 3, 16.) nicht leiden (so gar nicht annehmen, daß sie die- selbe auch nicht einmal ertragen) werden (weil sie in ihren Sünden ungestrafet bleiben und unge- hindert fortfahren wollen) sondern nach ihren eigenen Lüsten werden sie ihnen Lehrer mit sehr schändlichem Mißbrauch ihres Rechts und ihrer Freyheit, welche sie haben zur Erweh- lung der Lehrer) selbst Lehrer aufladen (epi- soreusousi, zusammen häufen, einen nach dem an- dern erwehlen, obgleich nicht zu einer Zeit, son- dern von Zeit zu Zeit, also daß immer ein Wolf und ein Mietling dem andern im Amte folget, und manche Gemeine wol bey etlicher Menschen Den- cken oder Leben hindurch keinen getreuen Hirten haben wird) nachdem ihnen die Ohren jücken (welche sie in ihren Sünden nicht ernstlich zur Uberzeugung bestrafen, sondern ihnen liebkosen, heucheln und schmeicheln, und in ihrem Sün- den-Schlafe, nach Art der alten falschen Prophe- ten, durch ihre falsche Trost-Predigten gleichsam Küssen unter die Arme legen, und die heßliche Wand des Volcks mit losem Kalcke tünchen; sich auch einer solchen Art des Vortrages, der Röm. 16, 18. khrestologia und eulogia heißt, be- dienen, und damit nur bie Ohren eiteler Menschen also belustigen, daß sie keine andere, als nur solche lose Kunst- und Dunst-Prediger hören wollen.) V. 4. Und werden (nach den schon abgekehr- ten Hertzen auch) die Ohren von der (sie in ihrem Sündendienste beunruhigenden) Wahr- heit wenden (und also bezeugen, daß sie sind unbeschnitten an Hertzen und Ohren Ap. Gesch. 7, 51.) und sich zu den Fabeln (zu solchem lo- sen Geschwätze von göttlichen Dingen, welche den Fabeln gleich sind) kehren (und nach der Corruption ihres Gemüths an solchen Träbern ihre Weide suchen. Siehe 1 Tim. 1, 4. c. 4, 7. Tit. 1, 14. 2 Pet. 1, 16.) Anmerckungen. 1. Was der Apostel damals vorhergesaget, 2. Ein besonderer Character solcher bösen 3. Und mit diesem Charactere ist aufs ge- nen Z 3
Cap. 4. v. 3. 4. an den Timotheum. [Spaltenumbruch]
waͤrtigen Zeit die Rede iſt) da ſie (die ausgear-teten Zuhoͤrer) die heylſame Lehre (ὑγιαινου´- σης διδασκαλίας, die reine, geſunde und ge- ſundmachende Lehre, die nebſt dem Unterricht eine uͤberzeugende Beſtrafung, Warnung und Ermahnung in ſich haͤlt, nach V. 2. und C. 3, 16.) nicht leiden (ſo gar nicht annehmen, daß ſie die- ſelbe auch nicht einmal ertragen) werden (weil ſie in ihren Suͤnden ungeſtrafet bleiben und unge- hindert fortfahren wollen) ſondern nach ihren eigenen Luͤſten werden ſie ihnen Lehrer mit ſehr ſchaͤndlichem Mißbrauch ihres Rechts und ihrer Freyheit, welche ſie haben zur Erweh- lung der Lehrer) ſelbſt Lehrer aufladen (ἐπι- σωρέυσουσι, zuſammen haͤufen, einen nach dem an- dern erwehlen, obgleich nicht zu einer Zeit, ſon- dern von Zeit zu Zeit, alſo daß immer ein Wolf und ein Mietling dem andern im Amte folget, und manche Gemeine wol bey etlicher Menſchen Den- cken oder Leben hindurch keinen getreuen Hirten haben wird) nachdem ihnen die Ohren juͤcken (welche ſie in ihren Suͤnden nicht ernſtlich zur Uberzeugung beſtrafen, ſondern ihnen liebkoſen, heucheln und ſchmeicheln, und in ihrem Suͤn- den-Schlafe, nach Art der alten falſchen Prophe- ten, durch ihre falſche Troſt-Predigten gleichſam Kuͤſſen unter die Arme legen, und die heßliche Wand des Volcks mit loſem Kalcke tuͤnchen; ſich auch einer ſolchen Art des Vortrages, der Roͤm. 16, 18. χρηστολογία und ἐυλογία heißt, be- dienen, und damit nur bie Ohren eiteler Menſchen alſo beluſtigen, daß ſie keine andere, als nur ſolche loſe Kunſt- und Dunſt-Prediger hoͤren wollen.) V. 4. Und werden (nach den ſchon abgekehr- ten Hertzen auch) die Ohren von der (ſie in ihrem Suͤndendienſte beunruhigenden) Wahr- heit wenden (und alſo bezeugen, daß ſie ſind unbeſchnitten an Hertzen und Ohren Ap. Geſch. 7, 51.) und ſich zu den Fabeln (zu ſolchem lo- ſen Geſchwaͤtze von goͤttlichen Dingen, welche den Fabeln gleich ſind) kehren (und nach der Corruption ihres Gemuͤths an ſolchen Traͤbern ihre Weide ſuchen. Siehe 1 Tim. 1, 4. c. 4, 7. Tit. 1, 14. 2 Pet. 1, 16.) Anmerckungen. 1. Was der Apoſtel damals vorhergeſaget, 2. Ein beſonderer Character ſolcher boͤſen 3. Und mit dieſem Charactere iſt aufs ge- nen Z 3
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Und da nun<lb/> Zuhoͤrer von Natur ſolche Luͤſtlinge ſind, welche<lb/> in ſolchen ſuͤndlichen Dingen ihre Weide und<lb/> Freude haben, ſo iſt es nicht zu verwundern, daß<lb/> ſie ſich ſolche Luſt-Prediger aufladen, und mit<lb/> juͤckenden Ohren zur Kirche kommen, und denn<lb/> gerne wollen gekrauet ſeyn, wo nicht mit einem<lb/> ſolchen fleiſchlichen, doch ſonſt geſchmuͤnckten, ge-<lb/> kraͤuſelten und gekuͤnſtelten Vortrage: ſiehe<lb/> Roͤm. 16, 18. und 1 Cor. 2, 1. u. ſ. alwo Paulus<lb/> die nach eiteler menſchlicher Weisheit, welche<lb/> nur lauter Thorheit vor GOtt iſt, eingerichtete<lb/> verſuͤhriſche χρηστολογίαν und ἐνλογίαν gar nach-<lb/> druͤcklich verwirft.</p><lb/> <p>3. 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Cap. 4. v. 3. 4. an den Timotheum.
waͤrtigen Zeit die Rede iſt) da ſie (die ausgear-
teten Zuhoͤrer) die heylſame Lehre (ὑγιαινου´-
σης διδασκαλίας, die reine, geſunde und ge-
ſundmachende Lehre, die nebſt dem Unterricht
eine uͤberzeugende Beſtrafung, Warnung und
Ermahnung in ſich haͤlt, nach V. 2. und C. 3, 16.)
nicht leiden (ſo gar nicht annehmen, daß ſie die-
ſelbe auch nicht einmal ertragen) werden (weil
ſie in ihren Suͤnden ungeſtrafet bleiben und unge-
hindert fortfahren wollen) ſondern nach ihren
eigenen Luͤſten werden ſie ihnen Lehrer
mit ſehr ſchaͤndlichem Mißbrauch ihres Rechts
und ihrer Freyheit, welche ſie haben zur Erweh-
lung der Lehrer) ſelbſt Lehrer aufladen (ἐπι-
σωρέυσουσι, zuſammen haͤufen, einen nach dem an-
dern erwehlen, obgleich nicht zu einer Zeit, ſon-
dern von Zeit zu Zeit, alſo daß immer ein Wolf
und ein Mietling dem andern im Amte folget, und
manche Gemeine wol bey etlicher Menſchen Den-
cken oder Leben hindurch keinen getreuen Hirten
haben wird) nachdem ihnen die Ohren juͤcken
(welche ſie in ihren Suͤnden nicht ernſtlich zur
Uberzeugung beſtrafen, ſondern ihnen liebkoſen,
heucheln und ſchmeicheln, und in ihrem Suͤn-
den-Schlafe, nach Art der alten falſchen Prophe-
ten, durch ihre falſche Troſt-Predigten gleichſam
Kuͤſſen unter die Arme legen, und die heßliche
Wand des Volcks mit loſem Kalcke tuͤnchen;
ſich auch einer ſolchen Art des Vortrages, der
Roͤm. 16, 18. χρηστολογία und ἐυλογία heißt, be-
dienen, und damit nur bie Ohren eiteler Menſchen
alſo beluſtigen, daß ſie keine andere, als nur ſolche
loſe Kunſt- und Dunſt-Prediger hoͤren wollen.)
V. 4. Und werden (nach den ſchon abgekehr-
ten Hertzen auch) die Ohren von der (ſie in
ihrem Suͤndendienſte beunruhigenden) Wahr-
heit wenden (und alſo bezeugen, daß ſie ſind
unbeſchnitten an Hertzen und Ohren Ap. Geſch.
7, 51.) und ſich zu den Fabeln (zu ſolchem lo-
ſen Geſchwaͤtze von goͤttlichen Dingen, welche
den Fabeln gleich ſind) kehren (und nach der
Corruption ihres Gemuͤths an ſolchen Traͤbern
ihre Weide ſuchen. Siehe 1 Tim. 1, 4. c. 4, 7.
Tit. 1, 14. 2 Pet. 1, 16.)
Anmerckungen.
1. Was der Apoſtel damals vorhergeſaget,
iſt ſchon von ſo vielen hundert Jahren her haͤufig
eingetroffen; in Anſehung der Lehrer und Zuhoͤ-
rer. Denn von offenbar ketzeriſchen oder Grund-
ſtuͤrtzenden Lehren, auch Lehrern und ihren An-
haͤngern nicht zu ſagen, ſo hat es auch leider in ſol-
chen Kirch-Gemeinen, welche eine an ſich richti-
ge Confeſſion haben, noch nie an vielen ſolchen
Lehrern gefehlet, die nicht aus GOtt geboren, und
geſalbet, ſondern gar fleiſchlich geſinnet ſind, und
nicht was Chriſti JEſu iſt, ſondern nur ſich ſelbſt
ſuchen und weiden; und die zu dieſem Zweck bey
den in groſſer geiſtlichen Corruption liegenden
Gemeinen ihren Vortrag und ihr gantzes Amt
einrichten, und wie eines theils den Rath GOt-
tes von unſerer Seligkeit nicht einmal recht buch-
ſtaͤblich, geſchweige geiſtlich und lebendig erken-
nen, alſo auch andern theils, was ſie noch dem
Buchſtaben noch wiſſen, auf eine ſo kaltſinnige,
lebloſe, unlautere und verkehrte Art vortragen
und appliciren, als der verderbte Zuſtand ihrer
Seelen und ihr unlauterer Zweck es mit ſich brin-
get. Und was iſt denn in aͤuſſerſter Blindheit und
Corruption liegenden Zuhoͤrern angenehmer,
als ein ſolcher Lehrer, von dem ſie in ihrem Suͤn-
den-Schlafe ſo gar ungeſtoͤret bleiben, oder doch,
wenn ſie etwan zu weilen durch gewiſſe Wahr-
heiten einiger maſſen erwecket ſind, durch unheili-
ge und falſche Troͤſtungen bald wieder eingeſchlaͤ-
fert werden? Gewiß das Verderben iſt dißfals
bey Lehrern und Zuhoͤrern ſo groß, daß, wer es nur
einiger maſſen erkennet und erweget, in einen
recht innigen und wehmuͤthigen Jammer daruͤber
geſetzet wird.
2. Ein beſonderer Character ſolcher boͤſen
Hirten iſt vor andern dieſes, daß ſie die Chriſtliche
oder durch Chriſtum erworbene Freyheit appli-
ciren auf alle ſolche Frechheit und Eitelkeit des Flei-
ſches, welche im Spielen, im Tantzen, im Co-
mœdianten-Weſen, in eitelen Gaſtereyen und
andern Luſthandlungen auf eine ſolche Mittel-
Straſſe fuͤhren, da man ſich eines theils von der
Verleugnung ſolcher Dinge, andern theils aber
von groͤbern Exceſſen enthaͤlt, und auf einige
Maͤßigung aller herrſchenden Welt-Luſt gehet;
und denn einen ſolchen Suͤnden-Dienſt fuͤr in-
different oder fuͤr Mitteldinge ausgiebet, und
ſich nicht ſcheuet oͤffentlich in Predigten, ja auch
in Schriften vorzugeben, daß ſolches alles mit dem
Chriſtenthum gar wohl beſtehen koͤnne und ein
Stuͤck der chriſtlichen Freyheit ſey. Und da nun
Zuhoͤrer von Natur ſolche Luͤſtlinge ſind, welche
in ſolchen ſuͤndlichen Dingen ihre Weide und
Freude haben, ſo iſt es nicht zu verwundern, daß
ſie ſich ſolche Luſt-Prediger aufladen, und mit
juͤckenden Ohren zur Kirche kommen, und denn
gerne wollen gekrauet ſeyn, wo nicht mit einem
ſolchen fleiſchlichen, doch ſonſt geſchmuͤnckten, ge-
kraͤuſelten und gekuͤnſtelten Vortrage: ſiehe
Roͤm. 16, 18. und 1 Cor. 2, 1. u. ſ. alwo Paulus
die nach eiteler menſchlicher Weisheit, welche
nur lauter Thorheit vor GOtt iſt, eingerichtete
verſuͤhriſche χρηστολογίαν und ἐνλογίαν gar nach-
druͤcklich verwirft.
3. Und mit dieſem Charactere iſt aufs ge-
naueſte, als eine Frucht mit dem Baum, verknuͤ-
pfet derjenige Character fleiſchlicher Lehrer und
Zuhoͤrer, welchen Paulus in gegenwaͤrtigen Text-
Worten darinnen ſetzet, daß ſie die heilſame Lehre
nicht leiden koͤnnen und die Ohren von der Wahr-
heit abwenden, nachdem ſie das Gemuͤth davon
abgewandt haben. Denn gleichwie ſie eines
theils an einem unlautern Theologiſchen Ge-
ſchwaͤtz, oder an einem ſolchen Vortrage, dadurch
ſie in ihrem fleiſchlichen Sinne nur geſtaͤrcket wer-
den, hangen: alſo beſchuldigen ſie der rechtſchaf-
nen Knechte GOttes ihre Lehre und Predigten,
wenn ſie auch gleich noch ſo lauter und richtig
ſind, eines vielfachen unb gefaͤhrlichen Jrrthums;
aus keinem andern Grunde, als weil ihr ungoͤttli-
ches Weſen mit ihren eigenen Jrrthuͤmern damit
nicht beſtehen kan, ſondern dadurch entdecket und
in ihrem Gewiſſen beſtrafet wird. Welches ih-
nen
Z 3
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